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Würde und Wahrheit - Das Mindeste im Parlament

Rede von Cansin Köktürk,

Herr Präsident! Abgeordnete! Was ist das eigentlich – Würde? Würde meint nicht den Kontostand, nicht die soziale Herkunft. Würde ist unantastbar, jedem Menschen gleichermaßen und bedingungslos gegeben. Und doch, wenn ich höre, wie in diesem Haus gesprochen und Politik gemacht wird, dann muss ich feststellen: Dieses Haus ist nicht geprägt von Würde. Es ist im Gegenteil zutiefst würdelos.

(Beifall bei der Linken)

Sie stellen sich ins Fernsehen und in die Talkshows und erfinden Feindbilder, die keine sind, und schießen gegen Bürgergeldempfänger/-innen und gegen Menschen in Not. Sie sprechen von Sozialbetrug, ohne dass Zahlen vorliegen. Sie drohen mit Kürzungen und Sanktionen. Sie werfen mit Schlagworten um sich wie „fehlende Leistung“ und „Faulheit“ und setzen damit gezielt Menschen herab, die Sie nie getroffen, nie gehört und nie verstanden haben.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist falsch!)

Wie soll ein Mensch zum Gestalter seines Lebens werden, wenn er permanent herabgewürdigt, kontrolliert und öffentlich entwertet wird? Wo bleibt Ihr Anstand, wenn Sie Menschen unterstellen, sie seien zu faul zum Arbeiten, obwohl Sie die Gründe nicht kennen?

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Das hat keiner gemacht!)

Ist das Ihre Idee von Würde?

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf, ohne mit dem Vorurteil „Da spricht wieder die Linke“ zuzuhören. Ich spreche zu Ihnen von Mensch zu Mensch, als Frau und Sozialarbeiterin, die lange mit Bürgergeldempfängerinnen gearbeitet hat. Ich kenne ihre Realität, und deshalb sehe ich, dass die Realität, die Sie politisch konstruieren und bewusst auf Unwahrheiten aufbauen, eine falsche ist.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir mögen politisch unterschiedliche Wege gehen, doch zumindest in der Wahrheit sollten wir uns begegnen. Das ist das Mindeste, was wir uns in einem demokratischen Parlament schuldig sind.

Ein Millionär spürt es kaum, wenn er etwas abgeben muss, aber einer Mutter mit nur 500 Euro im Monat tut das richtig weh. Wer kann Kompromisse besser ertragen?

(Zuruf des Abg. Georg Schroeter [AfD])

Ein Milliardär oder ein Mensch im Bürgergeld? Sie kennen die Antwort.

Schauen Sie nicht auf Umfragen, sondern auf die Straße. Gehen Sie zu Fuß vom Reichstag durch Berlin. Sehen Sie die Armut und die obdachlosen Menschen, und trauen Sie sich, Ihnen ins Gesicht zu sagen: Sie sind selbst schuld. – Sie treffen mit Ihrer Politik nicht die Faulen, wie Sie behaupten, sondern Alleinerziehende, Kranke, Langzeitarbeitslose, pflegende Angehörige oder Jugendliche ohne Rückhalt.

Ehrliche Politik für Menschen würde genug investieren in Arbeitsvermittlung, in Kinderarmutsbekämpfung, in Jobcenter, Wohnraum und Integration. Doch das tun Sie nicht.

(Beifall bei der Linken)

Stattdessen betreiben Sie Machtpolitik auf dem Rücken der Schwächsten. Ihre Politik hilft nicht bei den realen Problemen. Und wissen Sie was? Der Unterschied zwischen Abgeordneten und Menschen auf der Straße ist oft kleiner, als Sie denken. Sucht, Krankheit, Schicksalsschläge: Das Leben kann jeden treffen. All diese Widersprüche entlarven Sie. Es geht Ihnen nicht ums Sparen oder Fördern. Es geht um Ablenkung von der extremen sozialen Ungleichheit und um Machterhalt.

Und dass Sie die Würde des Menschen, wie sie im Grundgesetz steht, nicht ernst nehmen und Kinder Ihnen egal sind, zeigt sich nicht nur in Ihrer Innenpolitik. Das zeigt sich auch dort, wo Entscheidungen tödliche Konsequenzen haben: in Gaza

(Georg Schroeter [AfD]: Auf nach Gaza!)

und überall dort, wo Kinder mit deutschen Waffen ermordet werden und unter Trümmern sterben.

(Johannes Winkel [CDU/CSU]: Das hat nichts mit der Debatte zu tun! – Kathrin Michel [SPD]: Hat nichts mit dem Haushalt zu tun!)

Sie tragen auch Mitverantwortung.

(Beifall bei der Linken – Zuruf von der CDU/CSU: Falsche Debatte!)

Das hier ist das Haus, in dem Politik für die Menschen da draußen gemacht werden muss. Und wenn Sie diesem Haus noch Würde verleihen wollen, dann beginnen Sie damit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und den Menschen mit Empathie und Respekt zu begegnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)