Gregor Gysi über die schwierige Fusion der Linken und die SPD unter Beck
Schon lange träumt Linksfraktionschef Gregor Gysi (58) von einer gesamtdeutschen Partei links von der SPD. Jetzt kämpft er darum, dass das weit gediehene Projekt der Fusion von WASG und Linkspartei nicht doch noch scheitert. Eine Vorentscheidung könnte am Wochenende auf dem WASG-Parteitag fallen. Mit Gysi sprach Henry Lohmar.Herr Gysi, die Euphorie nach der Bundestagswahl ist vorbei, stattdessen gibt es Querelen in der WASG. Ist die Luft raus aus dem linken Projekt?
Gysi: Nach einer Wahl geht immer ein wenig die Luft raus. Aber das Projekt steht und hat eine gute Grundlage. Mehr als vier Millionen Menschen haben sich bei der Bundestagswahl für uns entschieden - auch wegen des Versprechens, eine gesamtdeutsche Linke auf die Beine zu stellen. Glauben Sie mir: Bis zum nächsten Sommer gibt es die neue Partei.
Mit Oskar Lafontaine als Vorsitzendem?
Gysi: Ich denke, wir bekommen zwei. Warum soll nicht einer davon Oskar Lafontaine heißen?
Die Berliner WASG will zur Abgeordnetenhauswahl partout gegen die Linkspartei antreten.
Gysi: Warten wir mal ab, was der Bundesparteitag der WASG am Wochenende dazu sagt. Es gibt ein Abkommen zwischen beiden Parteien, darin steht, dass wir nicht gegeneinander kandidieren. Die Anmeldefrist für die Abgeordnetenhauswahl endet am 17. Mai. Bis dahin kann die Partei noch alle Entscheidungen treffen.
Und wenn es beim Antritt in Berlin bleibt?
Gysi: Dann müssen wir Konsequenzen ziehen, aber die werde ich jetzt nicht nennen. Ich hoffe es nicht und will auch nicht den Eindruck entstehen lassen, Druck auszuüben.
Fürchten Sie um den Status der Bundestags-Fraktion? Schließlich verbietet die Geschäftsordnung des Parlaments, dass Fraktionsmitglieder konkurrierenden Parteien angehören.
Gysi: Da habe ich überhaupt keine Angst. Ich bitte Sie, uns nicht zu unterschätzen. Wir sind vorbereitet.
Früher hatten Sie es vor allem mit verschiedenen Sektierern in den eigenen Reihen zu tun, jetzt sind Sie mit Trotzkisten in der WASG konfrontiert. Nervt das nicht?
Gysi: Natürlich. Die ganze Parteibildung nervt auch etwas. Es ist ja auch ein quälender Prozess. Ich hätte ihn gerne etwas kürzer gehabt, weil ich wusste: Bis zur Wahl geht alles gut, und dann kommt die Stunde auch der Wichtigtuer. Da wird eine junge Studentin plötzlich ganz wichtig und steht im "Spiegel" und der "Welt" ...
... Sie meinen die Berliner WASG-Spitzenkandidatin Lucy Redler...
Gysi: ... weil sie den Parteibildungsprozess stört, dem übrigens 80 Prozent der WASG-Mitglieder in einer Urabstimmung zugestimmt haben. Ich bin überzeugt: Wenn wir die neue Partei haben, gehen diese Störer.
Der neue SPD-Chef Kurt Beck fordert mehr Steuern für einen handlungsfähigen Staat. Das müsste Ihnen doch gefallen.
Gysi: Ich höre auch diese Sätze, aber ich fürchte, dass das nichts mit praktischer Politik zu tun hat. Die SPD hat die Tendenz, linke Programmäußerungen zu machen, wenn sie nicht regiert oder, wie jetzt, in der Großen Koalition, keine Spielräume hat. Ich erinnere mich an die Schröder-Zeit, da sind den Konzernen Steuern erlassen worden und bei Arbeitslosen ist gekürzt worden. Da habe ich nie einen Widerspruch von Beck gehört.
Könnten Sie sich denn eine Regierungsbeteiligung im Bund nach 2009 vorstellen?
Gysi: Die Frage ist bei der Politik, die die SPD im Moment vertritt, wirklich nicht aktuell. Worin soll denn der Kompromiss bestehen? Ein bisschen Rentenkürzung? Ein bisschen völkerrechtswidrige Kriege? Die SPD braucht erstmal eine Debatte darüber, worin ihre Ziele eigentlich bestehen. Im Augenblick ist sie entsozialdemokratisiert.
Anderes Thema: Ihr Co-Fraktionschef Oskar Lafontaine will zu politischen Gesprächen in den Iran reisen. Halten Sie das für eine gute Idee?
Gysi: Ich bin immer dafür, dass man komplizierten Fragen nicht ausweicht. Wir schlagen eine Nahost-Friedenskonferenz vor, wo es um folgende Punkte geht: international garantierte Sicherheit für Israel, die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates, Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak und Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Das wollen wir auch im Iran vortragen.
Was ist das denn für ein Signal, wenn ein deutscher Oppositionspolitiker mit Vertretern des Holocaust-Leugners Ahmadinedschad über die Entwaffnung Israels spricht?
Gysi: Was der iranische Präsident über Israel sagt, ist völlig inakzeptabel, gar keine Frage. Aber wir wollen das auch dort sagen und können den Iran nicht einfach übergehen.
Märkische Allgemeine, 26. April 2006