Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich glaube, die SPD hat recht, wenn sie sagt, dass wir dringend Zukunftsinvestitionen benötigen. Aber was müsste die erste Zukunftsinvestition sein?
Wir müssen die Binnenwirtschaft stärken. Wir müssen sie schon deshalb stärken, weil alle anderen Fraktionen zusammen den Export dadurch ruinieren, dass sie Südeuropa auf absolut desaströse Weise sozial ungerecht gestalten und damit dafür sorgen, dass dort die Kaufkraft abnimmt. Das führt dazu, dass unsere Exporte dorthin nachlassen werden. Es gibt nur eine Antwort darauf - das Ungleichgewicht muss sowieso überwunden werden -, nämlich dass wir eine stärkere Binnenwirtschaft brauchen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage Ihnen: Diesbezüglich lag die Agenda 2010 falsch. Herr Nüßlein, ich stimme Ihnen überhaupt nicht zu: Die SPD hat den Jahrestag gefeiert wie verrückt. Aber ich finde das völlig falsch, weil die Agenda 2010 der größte Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie können gar nicht leugnen, dass die Armut dramatisch zugenommen hat. Sie können nicht leugnen, dass der Reichtum dramatisch zugenommen hat.
(Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU))
23 Prozent aller Beschäftigten sind heute prekär beschäftigt. Das ist etwas, was sich lohnt, worauf Sie stolz sein wollen? „Prekär beschäftigt“ heißt: Es sind Aufstockerinnen und Aufstocker, es sind Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter; sie sind im Niedriglohnsektor bzw. in Minijobs beschäftigt. Hinzu kommen die befristet Beschäftigten. Diese zählen gar nicht zu den prekär Beschäftigten.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Wir waren auch dabei!)
- Ich spreche von Grünen und SPD. Union und FDP haben dabei aber mitgemacht und das noch verschlimmert. Darüber wollen wir gar nicht streiten.
(Beifall bei der LINKEN)
Von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes bis zum 35. Lebensjahr haben 52 Prozent ein befristetes Arbeitsverhältnis. Dann kommt die Union und sagt ihnen, sie sollen Familien gründen und mehr Kinder bekommen. Ja, wie denn? Wie soll denn jemand mit einem Halbjahresvertrag eine Perspektive haben? Davon kann niemand ausgehen. So bekommen Sie niemals eine gute Familienpolitik zustande. Das garantiere ich Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt kommt immer das Argument - auch von Ihnen wieder, Herr Nüßlein -, dass die Arbeitslosenzahlen so sehr zurückgegangen sind. Nehmen Sie bitte eine Tatsache zur Kenntnis: Wir haben jetzt dasselbe Volumen an Arbeitsstunden wie vor Beginn der Agenda 2010; es hat sich nichts geändert. Der einzige Unterschied ist, dass aus einer Vollzeitarbeitsstelle drei Drittelstellen geworden sind. Damit verbessern Sie die Statistik, aber nicht die Lage der Leute, im Gegenteil: Sie wird nur prekärer.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage heute, da wir einen neuen Papst haben: Wenn Franziskus I. die Agenda 2010 kennen würde, wäre er strikt dagegen; er stünde an unserer Seite. Das will ich Ihnen bloß mal sagen; Sie können darüber nachdenken.
(Beifall bei der LINKEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Gregor I. von den Linken! - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ich dachte, du wolltest Papst werden! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
- Ich wollte, dass Sie mal Reaktion zeigen.
Ich will Ihnen noch sagen: Wenn die Reichen mehr Geld haben - das muss die CDU/CSU mal zur Kenntnis nehmen -, dann spekulieren sie mehr. Wenn Arme, Geringverdienende oder durchschnittlich Verdienende mehr Geld haben, dann kaufen sie mehr Waren und nehmen mehr Dienstleistungen in Anspruch. Der Binnenwirtschaft können Sie nicht mit mehr Reichtum, sondern nur mit mehr sozialer Gerechtigkeit helfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich führe Ihnen noch einmal die Unterschiede vor Augen. Zwischen 1992 und 2012 ist das Geldvermögen in Deutschland von 4,6 Billionen Euro auf 10 Billionen Euro gestiegen; es hat sich also mehr als verdoppelt.
(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das sagen Sie jetzt zum vierten Mal in diesem Plenum!)
0,6 Prozent der Haushalte besitzen davon knapp 20 Prozent, nämlich 1,9 Billionen Euro. Die unteren 50 Prozent der Haushalte - das ist auch interessant - besaßen 1998 4 Prozent des Geldvermögens und besitzen heute nur noch 1 Prozent des Geldvermögens. Auch das ist ein Ergebnis der Agenda 2010. Warum korrigieren Sie das nicht und fangen nicht an, ganz anders politisch zu agieren und darüber nachzudenken, wie wir diesbezüglich zu einer anderen Gesellschaft kommen?
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir die Binnenwirtschaft stärken wollen, brauchen wir gerechte, höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen. Aber wir müssen endlich auch den Steuerbauch überwinden; das sage ich Ihnen von der FDP, weil auch Sie das fordern. Es ist wirklich wahr - das möchte ich den Leuten sagen -: Der Verlauf unseres Einkommensteuertarifs ist nicht linear, sondern hat einen Bauch, und zwar bei der Mittelschicht der Gesellschaft, also den Facharbeiterinnen und Facharbeitern, den Meisterinnen und Meistern, aber auch den Lehrerinnen und Lehrern, den Polizistinnen und Polizisten und vielen Selbstständigen. Sie alle müssen sehr viel mehr Steuern zahlen, als es gerecht ist. Deshalb muss dieser Steuerbauch weg. Warum ist der Steuerbauch da?
(Zuruf von der CDU/CSU: Weil die von der SPD nicht mitmachen wollten!)
Weil der Spitzensteuersatz gesenkt worden ist. Sie wollen den Steuerbauch beseitigen - so weit sind wir einverstanden -, aber ohne Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Das geht nicht; denn es bedeutet, die Kommunen noch mehr pleite zu machen. Sie können sich jetzt schon kaum Investitionen in Schulen und Kindertagesstätten, in Kultur und Jugend leisten. Das geht nicht. Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen einen Ausgleich, einen höheren Spitzensteuersatz, und dann können wir endlich den Bauch bei der Mittelschicht beseitigen, der tatsächlich überwunden werden muss.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann haben die auch mehr Netto vom Brutto.
Also: Was müssen wir machen? Wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde. Wir würden auch einem geringeren Mindestlohn zustimmen, aber er wäre falsch. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir brauchen in Deutschland einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen statt prekärer Beschäftigung gute Arbeit, höhere Renten und höhere Sozialleistungen. Das wäre die wichtigste Investition für unsere Binnenwirtschaft und damit für unsere Zukunft.
Sie haben recht: Wir brauchen auch Investitionen im Energiebereich. Die erneuerbaren Energien müssen gefördert werden. Bis zum Jahre 2020 muss ihr Anteil von 25 Prozent auf 50 Prozent steigen. Was macht die Bundesregierung jetzt? Sie stellen die Förderung ein. Abenteuerlicherweise begründen Sie das auch noch mit den Strompreisen, Herr Altmaier.
(Birgit Homburger (FDP): Ach! So ein Schwachsinn!)
Das ist der völlig falsche Weg. Wenn wir die erneuerbaren Energien endlich angemessen fördern und trotzdem Strompreise haben wollen, die sich die Leute leisten können, müssen wir sieben Schritte machen:
Erstens. Wir brauchen, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, eine Strompreisaufsicht; anders geht es nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen die Abzocke durch die vier Konzerne beenden.
Zweitens. Wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer in dem Umfange, in dem wir eine Steuer für die erneuerbaren Energien erheben.
Drittens. Die Privilegierung der Industrie muss, von wenigen Ausnahmen abgesehen, abgebaut werden. Es ist nicht hinnehmbar: Die Unternehmen mit dem höchsten Stromverbrauch müssen am wenigsten bezahlen.
(Beifall bei der LINKEN)
Viertens. Wir brauchen einen Sockeltarif für die Bürgerinnen und Bürger. Das wäre eine soziale Maßnahme. Wir sagen: Pro Haushalt gibt es jährlich 300 Kilowattstunden kostenfrei, zusätzlich 200 Kilowattstunden pro Person. Das bedeutet: Ein Einpersonenhaushalt erhielte 500 Kilowattstunden - sagen wir es einmal so - gebührenfrei, wenn auch nicht kostenfrei. Ein Zweipersonenhaushalt erhielte 700 Kilowattstunden gebührenfrei, und so ginge es immer weiter. Das wäre sinnvoll.
Fünftens. Wir brauchen eine Abwrackprämie. Wer ein stromfressendes Haushaltsgerät verschrottet und ein neues Gerät mit hoher Energieeffizienz Kühlschrank, Waschmaschine, Spülmaschine erwirbt, sollte diese Abwrackprämie bekommen. Das reizt. Das hilft übrigens auch der Wirtschaft, und gleichzeitig macht es die Strompreise bezahlbar.
Sechstens. Der Bund muss meines Erachtens für die Gebäudesanierung 3,5 Milliarden Euro bereitstellen.
Es ist ja wichtig, die Gebäude zu sanieren auch eine wichtige Investition , aber wenn wir das Geld zur Verfügung stellen, müssen wir den Vermietern, die dieses Geld nehmen, verbieten, die Mieten zu steigern. Das ist nämlich das Entscheidende, damit das Ganze sozialverträglich wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage es Ihnen noch einmal: Wenn Sie eine nachhaltige ökologische Umgestaltung wollen und Sie nicht sozialverträglich machen, dann erben Sie Blockierer, und zwar gerade in den armen Schichten der Bevölkerung. Es muss sozial sein, damit wir diese Schichten mitnehmen und für den ökologischen Umbau gewinnen können.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen natürlich auch in die Infrastruktur investieren, zum Beispiel in Verkehrswege, aber nicht in so etwas Sinnloses und wahnsinnig Teures wie Stuttgart 21, sondern in die Schieneninfrastruktur, in den Nah- und Fernverkehr, in Fahrwege, in Bahnhöfe für U-, Stadt- und Straßenbahnen, in Omnibusse und ich sage es auch im Interesse der Grünen in sichere Radwege.
(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber doch nicht nur wegen uns!)
Nein, aber auch Ihretwegen.
(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut!)
Wir brauchen außerdem ganz dringend Investitionen im Bildungsbereich - ich bitte Sie! , und zwar für die Schulgebäude, für die Ausrüstung, aber auch für die Qualifizierung und die Anzahl des Personals. Da muss investiert werden. Ich möchte Chancengleichheit für Kinder bei der Bildung. Davon sind wir meilenweit entfernt, übrigens gerade auch in Bayern, weil dort die Kinder schon nach der vierten Klasse getrennt werden. Das ist nichts anderes als soziale Ausgrenzung. Das geschieht in vielen anderen Bundesländern auch.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Ernst Hinsken (CDU/CSU): Trotzdem haben wir das beste Bildungssystem!)
Wir brauchen auch Investitionen in Fachhochschulen und in Universitäten, überhaupt wieder in Forschung und Wissenschaft, die vernachlässigt werden, aber vor allem in Kindertagesstätten. Ab 1. August 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Und was führen Sie ein? Ein Betreuungsgeld, damit die Eltern ihre Kinder nicht in Kindertageseinrichtungen schicken. Ich bitte Sie! Dort lernen die Kinder soziales Verhalten. Dazu brauchen wir qualifiziertes Personal; das ist wichtig. Natürlich müssen Kindertagesstätten genauso wie Schulen ein gebührenfreies, vollwertiges und gesundes Mittagessen anbieten.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Deutsche Institut für Urbanistik hat übrigens festgestellt, dass wir bis zum Jahre 2020 Investitionen von 704 Milliarden Euro benötigen. Jetzt kommt ein Punkt, der mich auch erstaunt hat: Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Höhe der deutschen Investitionen innerhalb der EU am untersten Rand liegt. Nicht dieses reiche Deutschland investiert mehr als Länder wie Spanien etc., nein, weniger. Ja, sagen Sie mal! Wo leben wir denn hier eigentlich? Herr Rösler, da müssten selbst Sie erschreckt und erstaunt sein.
(Beifall bei der LINKEN Dr. Philipp Rösler, Bundesminister: Aber auf jeden Fall!)
Ich kann nur sagen: Das geht nicht. Wenn wir nur den EU-Durchschnitt erreichen wollen, müssten wir 30 Milliarden Euro pro Jahr investieren. Aber die reichen gar nicht aus. Wie gesagt, das Institut für Urbanistik hat festgestellt: Wir brauchen 704 Milliarden Euro für Verkehr, für Wasser, für Abwasser, für Kitas, für Schulen. Genau da muss investiert werden.
Wir haben gesagt: Wir brauchen gute Arbeit und gerechte Löhne. Deshalb sage ich Ihnen noch einmal Mindestlohn ist klar : Leiharbeit möchte ich überwinden. Aber wenn Sie sie nicht überwinden, führen Sie doch endlich nicht nur den gleichen Lohn für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter wie für die Stammbelegschaft ein, sondern einen Zuschlag von 10 Prozent wie in Frankreich. Dieser Zuschlag ist mir wichtig. Es muss für das Unternehmen teurer sein, eine Leiharbeiterin oder einen Leiharbeiter zu beschäftigen. Außerdem verdienen die Leute dieses Geld. Dann wird es nämlich zur Ausnahme und nicht Schritt für Schritt zur Selbstverständlichkeit, wie es leider in unserer Gesellschaft geworden ist.
(Beifall bei der LINKEN Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jetzt sagen Sie noch mal, was das alles kostet, was Sie hier gefordert haben!)
Ja, passen Sie auf. Wir müssen die Befristung verbieten, wenn sie ohne sachlichen Grund erfolgt, wenigstens das. Ich bin es leid, dass die Leute fast nur noch befristete Verträge erhalten. Fast alle Neueinstellungen erfolgen inzwischen befristet und damit ja auch ohne Kündigungsschutz.
(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt gar nicht! Er hat keine Ahnung!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Sie wollen doch nicht sagen, dass meine Redezeit schon um ist.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die ist schon quasi mehr als um. Ich sage das nicht, aber die Uhr.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja, ich höre ja auch auf. Ich hätte Ihnen noch so viel erklärt,
(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Er möchte noch mehr verteilen! Sagen Sie das doch!)
wie das Ganze zu finanzieren ist. Aber wissen Sie: Der Redner vor mir hatte auch elf Minuten, und die dauerten so viel länger als meine. Daran müssen wir mal was ändern.
Ich wünsche Ihnen trotzdem alles Gute.
(Beifall bei der LINKEN)