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Jörg Cezanne: Zukunftsinvestitionen statt Schuldenbremse

Archiv Linksfraktion - Rede von Jörg Cezanne,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit den Worten des Kabarettisten Christoph Süß beginnen:

"Oh schwarze Null, die du uns durch dein segensreiches Wirken zur Nummer eins machst. Mal ehrlich: Wer braucht schnelles Internet, Brücken, Straßen oder genug Polizisten, Lehrer, moderne Schulen,"

(Christian Haase [CDU/CSU]: Alles Länderaufgaben!)

"wenn er eine schwarze Null hat? Darum beneidet uns jeder."

(Beifall bei der LINKEN)

Damit könnte man es fast bewenden lassen. Ich habe aber noch viereinhalb Minuten; die nutze ich jetzt.

Vor zehn Jahren verankerte die damalige Regierungskoalition von Union und SPD mit Unterstützung von Grünen und FDP die Schuldenbremse im Grundgesetz.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Gut so! Sonst würden wir heute viel mehr Schulden haben!)

Von Gewerkschaften, progressiven Ökonomen, Sozialverbänden und der Linken wurde sie heftig kritisiert: wirtschaftspolitisch kontraproduktiv, ein Hindernis für notwendige Zukunftsinvestitionen und eine Bedrohung des Sozialstaats.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nee! Es gibt so viele Sozialausgaben wie nie!)

Okay, wie es sich wirtschaftspolitisch entwickelt, werden wir sehen. Spätestens die nächste Krise wird zeigen, wie unsinnig diese Schuldenbremse tatsächlich ist. Bei den Sozialabgaben haben die gute Konjunktur und die niedrigen Zinsen das Schlimmste verhindert. Es bleibt die Frage der Zukunftsinvestitionen.

Frau Stark-Watzinger hat die Frage gestellt: Führen wir die richtigen Debatten?

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja!)

Inzwischen würde ich sagen: doch schon wieder.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein!)

2018 befand sich Deutschland bei den öffentlichen Investitionen mit 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich der OECD-Staaten auf dem sechstletzten Platz von 30 untersuchten Staaten. Hier haben sich interessante neue Diskussionslinien aufgetan: Innerhalb der SPD gibt es endlich wieder hörbare kritische Stimmen zur Schuldenbremse. Die Grünen fordern eine Weiterentwicklung, weil auch sie die investitionshemmende Wirkung sehen. BDI und DGB gemeinsam fordern ein Investitionsprogramm über zehn Jahre mit einem Gesamtvolumen von 450 Milliarden Euro. Gut so! Das sind die richtigen Debatten.

(Beifall bei der LINKEN)

Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, argumentiert:

"Angesichts eines unübersehbar großen Investitionsbedarfs mindert die Schuldenbremse den politischen Handlungsspielraum und entbehrt einer ökonomischen Grundlage."

Recht hat der Mann.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von was trägt denn der Verantwortung?)

Ich will auch noch mal was zu dem Thema der Rekordinvestitionen sagen, mit dem sich die Koalition hier immer brüstet: In einer wachsenden Wirtschaft mit einem wachsenden Bundeshaushalt haben Sie ja jedes Jahr Rekordinvestitionen,

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr habt doch das Gegenteil behauptet!)

selbst wenn Sie überhaupt nichts verbessern, wenn Sie einfach nur den Stand halten. Das ist doch Augenwischerei, was Sie hier machen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Andreas Schwarz [SPD])

Erfreulich ist auch, dass wir bei den Debatten zur Vermögensteuer und auch zur Finanztransaktionsteuer und sogar, wenn auch mit nicht so ganz glücklichen Meldungen, zur Erbschaftsteuer ein wenig weiterkommen. Auch da: Vielleicht sollte die FDP ihre Position noch mal überdenken. In dem bereits vom Kollegen Daldrup erwähnten DeutschlandTrend sagen sogar 52 Prozent der FDP-Wählerinnen und FDP-Wähler, dass Sie die Vermögensteuer für eine gute Idee halten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das ist der niedrigste Wert!)

Also denken Sie noch mal darüber nach.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wir sind nicht dafür da, das Populäre zu tun, sondern das Richtige!)

Zur Abwendung einer drohenden Klimakatastrophe ist ein tiefgreifender sozialökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zwingend. Öffentliche Investitionen in erneuerbare Energien, in Busse und Bahnen, in energetische Gebäudesanierung, in ein belastbares Internet sind unverzichtbar. Aber nicht nur diese lebenswichtigen Zukunftsinvestitionen sparen sich Bund, Länder

(Otto Fricke [FDP]: Insbesondere die in Thüringen!)

und Gemeinden – den Gemeinden wird es mehr aufgezwungen –, Bundes- und Landesregierung fahren auch die bestehende öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß und sparen sich sogar die Erhaltungsinvestitionen.

(Otto Fricke [FDP]: Thüringen ganz vorne! – Gegenruf der Abg. Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wer regiert denn da?)

Dabei leuchtet doch jedem ein: Es ist viel teurer, in 20 Jahren neue Brücken, Schulen und Schienen zu bauen, als rechtzeitig bestehende vor dem Verfall zu bewahren.

(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Das ist aber keine Investition!)

Notwendige Investitionen, die mit Verweis auf Schuldenbremse und schwarze Null unterbleiben, sind für zukünftige Generationen viel teurer als eine angemessene Kreditaufnahme.

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]: Neue Umverteilung!)

Die plumpe Aussage, Staatsschulden seien eine unfaire Bürde für unsere Kinder und Enkel, stimmt einfach hinten und vorne nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb bleiben wir bei unserer Position: Eine Streichung der Schuldenbremse ist notwendig. Die goldene Regel der Finanzpolitik, nach der der Staat so viele Kredite aufnehmen kann und sollte, wie er langfristig öffentliche Investitionen tätigt,

(Otto Fricke [FDP]: Das ist die, die für die Kommunen gilt!)

ist die sinnvollere Richtschnur.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Die gilt aktuell für die Kommunen!)