Die Bundeskanzlerin hat den amerikanischen Präsidenten zum Wahlkampf nach Stralsund eingeladen. Wer George W. Bush für den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern braucht, der hat die Wahlen schon verloren. Gregor Gysi in der Debatte zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin.
Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen genau zugehört. Ich glaube, wir beide sollten ein Eingeständnis machen. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen uns: Unser gemeinsamer Leistungsanteil an den Erfolgen der deutschen Fußballnationalmannschaft ist gleich null. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn das stimmt, sollten Sie nicht versuchen, die Erfolge der Nationalmannschaft für die Regierung zu vereinnahmen. Das bekommt man beim besten Willen nicht hin. Ich hatte erwartet, dass Sie uns in Ihrer Rede erklären, wohin Sie mit Deutschland wollen. Aber ich habe es nicht verstanden, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. Ich glaube, das ist die entscheidende Frage. Zur Außenpolitik: Sie haben über den Iran gesprochen und gesagt, Sie strebten eine diplomatische Lösung des Konflikts an. Das wäre tatsächlich sehr wichtig, wenn es denn gelänge. Ich hoffe darauf. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein paar Punkte hinweisen: Erstens. Der Präsident des Iran macht Äußerungen zu Israel und dem Holocaust, die in diesem Hause parteiübergreifend als völlig indiskutabel betrachtet werden. Das steht, glaube ich, fest. Zum Zweiten will er für seinen Staat die friedliche Nutzung der Atomenergie in Anspruch nehmen. Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Aber das Problem ist, dass sie allen Staaten erlaubt ist. Also kann man sie dem Iran nicht verbieten. Das Dritte ist: Es wird unterstellt, er wolle Atomwaffen. Angenommen, es stimmte, dann brächte uns das in einen Konflikt, und zwar unter anderem deshalb, weil die fünf Atommächte noch nicht einmal das Ende des Kalten Krieges genutzt haben, um den Atomwaffensperrvertrag zu erfüllen und schrittweise ihre Atomwaffen abzubauen, (Beifall bei der LINKEN) weil inzwischen auch Israel, Indien und Pakistan Atomwaffen haben und weil Kriege gegen Jugoslawien, den Irak und Afghanistan geführt worden sind, immer gegen Staaten, die keine Massenvernichtungswaffen hatten. Deshalb denken andere, dass sie unangreifbar wären, wenn sie solche Waffen besäßen. Wir müssen aber aus dieser Logik heraus. Dazu müssen zuerst die Atommächte andere Schritte gehen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung im eigenen Land um eine Antwort auf folgende Frage: Was machen wir denn nun, wenn George W. Bush wieder durchdreht und Krieg gegen den Iran führt? Erklären Sie hier doch einmal eindeutig und verbindlich, dass Deutschland dann nicht zur Koalition der Willigen gehören und daran teilnehmen wird. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie, wie ich hoffe, das eines Tages erklären, hätte ich gerne noch Ihre Antwort auf die Frage gewusst, ob wir dann zu 80 Prozent wie unter Schröder oder ob wir zu 100 Prozent nicht teilnehmen, was bedeutete, dass auch unsere Geheimdienste nicht mitmachen und dass keine Flughäfen zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben nun George W. Bush zum Wahlkampf nach Stralsund eingeladen. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie! Wer George W. Bush für den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern braucht, der hat die Wahlen schon verloren. Ich glaube, das geht daneben. (Beifall bei der LINKEN Heiterkeit bei der FDP) Lassen Sie mich noch eine andere außenpolitische Frage ansprechen, die mir wichtig ist, weil wir darüber gerade so viel diskutiert haben: die EU-Verfassung. Sie wollen die EU-Verfassung natürlich irgendwie in Kraft treten sehen. Ich verstehe auch, dass die EU eine bessere Struktur braucht. Aber die EU-Verfassung hat eben entscheidende Mängel. Zwei Völker haben durch Volksentscheid mehrheitlich Nein gesagt. (Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber ganz viele haben zugestimmt!) Jetzt heißt es, viele andere Länder hätten aber Ja gesagt. In den 16 Ländern, die Ja gesagt haben, ist das in zwei Fällen durch Volksentscheid, im Übrigen nur durch die Parlamente geschehen. (Joachim Poß (SPD): Nur die Parlamente?! Was haben Sie für ein Verständnis vom Parlament?) Sie wissen, dass es leichter ist, eine Mehrheit dafür im Parlament zu bekommen als in der Bevölkerung. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt auch für Deutschland. Auch wir hätten hierzu einen Volksentscheid gebraucht. Abgesehen davon möchte ich wissen: Wie sieht denn Ihr Weg aus? Wollen Sie den Willen der beiden Völker umgehen? Wollen Sie ein anderes Annahmeverfahren installieren? Wollen Sie die Verfassung ändern? Wollen Sie sie sozialer gestalten, weniger neoliberal? Wollen Sie sie entmilitarisieren? Wollen Sie vielleicht die Steuern harmonisieren, all das tun, was wir in der Europäischen Union dringend benötigten? (Beifall bei der LINKEN) Damit bin ich bei der Innenpolitik. Sie haben gestern gesagt, Deutschland sei ein Sanierungsfall. Das ist ein mutiges Eingeständnis. (Zuruf) Okay, wir sind nicht nur ein Sanierungsfall ich kenne die Ergebnisse der Nationalmannschaft , (Heiterkeit bei der LINKEN) aber wir sind auch ein Sanierungsfall. Hinzuzufügen ist aber: Die Regierenden haben aus Deutschland einen Sanierungsfall gemacht, und zwar angefangen bei der vorigen Regierung und fortgesetzt durch die jetzige; das gehört zur Ehrlichkeit dazu. (Beifall bei der LINKEN) Bestimmte Zahlen nennen Sie nicht. Ich will einmal die Steigerung einer Größe von 2004 zu 2005 nennen. Die Gewinne und Einkommen aus Vermögen sind im Vergleich von 2004 zu 2005 um 31 Milliarden Euro gewachsen. Im selben Zeitraum sind die Bruttolöhne und -gehälter der Bevölkerung um 5,7 Milliarden Euro gesunken. Das ist die Wahrheit im Vergleich von 2004 zu 2005. Das sind die Folgen Ihrer Politik. (Zuruf von der SPD) Gerade Ihrer; denn da war Schröder noch Kanzler. (Beifall bei der LINKEN - Joachim Poß (SPD): Das ist Sache der Tarifpartner! So viel müssen Sie schon auseinander halten können! Demagogie!) Was haben die Konzerne für die Steuergeschenke versprochen, Frau Bundeskanzlerin? Sie haben gesagt, wenn die Kosten gesenkt würden, könnten sie Arbeitsplätze schaffen. Dann haben sie Pressekonferenzen gemacht. Auf den Pressekonferenzen haben sie die Politik verhöhnt und gesagt: Das war sehr nett. Schönen Dank. Wir haben tolle Gewinne. Dafür bauen wir Arbeitsplätze ab. - In einem Fall waren es 8 000 und in einem anderen Fall über 10 000 Arbeitsplätze. Ich habe gehofft, Herr Steinbrück, dass Sie sagen: Dann fordern wir von denen wenigstens gerechte Steuern. - Aber Sie machen es genau umgekehrt. Das erklären Sie auch. Sie sagen, wir - das ist eine Kritik, die sich immer an mich und meine Fraktion richtet - hätten nicht begriffen, dass man in Steuerkonkurrenz lebe, und weil man in Steuerkonkurrenz lebe, müsse man sich so verhalten. Sie sagen also: Man muss sich im Hinblick auf diese Steuerkonkurrenz ein- und unterordnen. Selbst wenn das stimmte, muss ich noch eine Frage stellen. Haben die Urväter Wilhelm Liebknecht und August Bebel, als sie die Sozialdemokratie gründeten, wirklich daran gedacht, dass sie nur dafür da ist, sich ein- und unterzuordnen? Die waren noch kapitalismuskritisch und wollten, dass man in dieser Gesellschaft mal etwas angreift, mal etwas verändert. (Beifall bei der LINKEN) Wo sind Ihre Initiativen beim G 8-Gipfel oder auch bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU, die darauf abzielen, wenigstens einmal zu diskutieren, ob man nicht eine internationale soziale Marktwirtschaft und eine Steuerharmonisierung hinbekommt? (Joachim Poß (SPD): Machen wir doch!) Es passiert nicht! Was Sie sagen, stimmt auch gar nicht. Die ganze Konkurrenzsituation, die Sie schildern, ist nicht gegeben. In der Europäischen Union der 25 liegen wir bei den Steuern auf Platz 24. Wir sind die Vorletzten. Nur die Slowakei hat geringere Steuern als Deutschland. Dann sagen Sie immer, die Lohnnebenkosten, die Abgaben seien so hoch; das müsse man bei der Berechnung einbeziehen. Gut, rechne ich das mit ein. Wenn ich Steuern und Abgaben einbeziehe, sind wir in der Europäischen Union auf Platz 16. 15 Länder der Europäischen Union haben höhere Steuern und Abgaben als Deutschland, und zwar an ganz anderen Stellen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb geht es dort auch etwas gerechter zu. Deshalb haben die auch nicht so den Sozialabbau, den Sie hier in Deutschland organisieren. Welche Vorschläge machen Sie in dieser Situation? Im letzten Jahr sind die Gewinne bei 20 DAX-Konzernen um mindestens 30 Prozent gestiegen. Welche Vorschläge machen Sie, Herr Steinbrück, lassen sie sich von der SPD-Führung genehmigen? Ihr Vorschlag lautet, die Körperschaftsteuer zu halbieren, nämlich von 25 Prozent auf 12,5 Prozent. Weil Sie immer die Konkurrenzsituation anführen, darf ich Sie daran erinnern: Die USA haben eine Körperschaftsteuer von 35 Prozent, (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber die haben keinen Gysi!) Frankreich hat eine von 33 Prozent, Großbritannien von 30 Prozent. Sie schlagen 12,5 Prozent vor. Wenn es hier jemanden gibt, der Steuerkonkurrenz organisiert, Frau Bundeskanzlerin, dann sind das Sie und Herr Steinbrück und nicht die anderen Länder. (Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was für ein Dummschwätzer!) Dann machen Sie noch einen Vorschlag hinsichtlich der Abgeltungssteuer. Die Einkünfte aus Kapital, Aktien und Immobilien unterliegen der Einkommensteuer. Unter Kohl hatten wir einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, jetzt haben wir einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Nun schlagen Sie eine Abgeltungssteuer von 30 Prozent im ersten Schritt und 25 Prozent im zweiten Schritt vor. Wieder sollen die Vermögenden, die Bestverdienenden deutlich besser gestellt werden. Aber wozu? Was soll dabei herauskommen, außer dass die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land grob zunimmt? Einen positiven Effekt können Sie nicht nennen. Konzerne, Bestverdienende und Vermögende haben zwei Dinge in Deutschland nicht zu fürchten: die Union und die SPD. (Beifall bei der LINKEN) Inzwischen gibt es das muss man sich wirklich einmal überlegen Reiche, die selbst fordern, höhere Steuern zu bezahlen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie: Es gibt Reiche, die inzwischen linker sind als die Sozialdemokratie! So weit haben Sie es gebracht. (Beifall bei der LINKEN) Die Union will an die Konzerne und die Reichen nicht heran. Das entspricht ihrer politischen Ausrichtung; das kann ich verstehen. Aber Ihnen von der SPD fehlt jeder Mut diesbezüglich. Darüber sollten Sie nachdenken. Deshalb haben wir keine gerechte Vermögensteuer, keine gerechte Veräußerungserlössteuer, keine gerechte Körperschaftsteuer, keine internationale Börsensteuer, nichts von dem, was wir benötigten, um Sozialabbau zu verhindern und mehr Gerechtigkeit in diesem Lande zu finanzieren. Wer soll das Ihrer Meinung nach alles bezahlen? Sie wollen das über die Mehrwertsteuer finanzieren. Frau Bundeskanzlerin, eines muss ich Ihnen lassen: Sie haben die Erhöhung im Wahlkampf immerhin ehrlich angekündigt, auch wenn es Ihnen nicht viel gebracht hat (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie ist Bundeskanzlerin!) und Sie nur von 2 Prozent gesprochen haben, es aber nun 3 Prozent geworden sind. Ich kann mich noch sehr gut an den Wahlkampf 1990 erinnern, meine Damen und Herren von der SPD. Ich weiß noch, dass Herr Kohl damals sagte, es werde im Osten keine Massenarbeitslosigkeit geben und die Einheit koste kein Geld; es gebe keine Steuererhöhungen. Ebenso kann ich mich erinnern, dass Sie damals einen Spitzenkandidaten namens Oskar Lafontaine hatten, der sagte: Erstens wird es Massenarbeitslosigkeit geben und zweitens wird es zu Steuererhöhungen kommen. (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und dann hat er sich vom Acker gemacht!) Ich sage aus Bescheidenheit nicht, dass auch andere das ausgesprochen haben; er jedenfalls hat es gesagt. (Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ist er bei der PDS gelandet! Furchtbar!) Sie wissen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Danach kamen Massenarbeitslosigkeit und der Solidaritätszuschlag, also eine Steuererhöhung. Was haben Sie nur darum geht es mir damals gesagt? Sie haben gesagt, das sei erstens eine Steuerlüge und zweitens Wahlbetrug. Jetzt schalten wir einmal um auf das Jahr 2005. Ich bin aus ökonomischen und sozialen Gründen strikt gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Frau Merkel hat sie immerhin angekündigt. Sie jedoch haben sich auf Plakaten gegen die Erhöhung ausgesprochen. Dadurch haben wir Veränderungen bei den Umfrageergebnissen erlebt. Als nämlich Herr Schröder vorzeitige Neuwahlen ankündigte, lag die Union noch knapp bei der absoluten Mehrheit. Das war schon erschreckend. Ihre Umfragewerte hingegen lagen im Keller; daran kann ich mich erinnern. Gerade wegen der Auseinandersetzung bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung sackten die Werte der Union immer weiter ab und Ihre stiegen immer höher. Unmittelbar nach der Wahl haben Sie dann gesagt: Alles Geschwätz von gestern; wir wollen nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Jetzt frage ich Sie einmal: Hätten Sie 2005 Plakate gegen Frau Merkel geklebt, auf denen gestanden hätte: „Nicht 2 Prozent, sondern 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung“, was glauben Sie, wie viele von Ihnen hier jetzt nicht säßen, weil Ihr Wahlergebnis viel schlechter gewesen wäre? (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was allerdings nicht schön wäre: Es säßen dann mehr von der Union hier. Es geht mir um dieses Thema, weil das ein Vorgang ist, der alle Politikerinnen und Politiker beschädigt. Denn letztlich, ob Sie das wollen oder nicht, sagen die Leute: Die sind doch alle gleich; erst versprechen sie das eine und dann machen sie das andere. Dann unterscheiden die Leute nicht mehr zwischen uns. (Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Nicht alle heißen Gysi!) - Nein, leider. Aber es hat auch seinen Vorteil: Wir können uns dadurch ganz gut unterscheiden. Die Mehrwertsteuererhöhung ist ökonomisch und sozial falsch. Wir haben dadurch natürlich etwas höhere Einnahmen. Aber wen treffen Sie mit dieser Erhöhung, Frau Kanzlerin? Nicht sich selbst, nicht mich; wir können das verkraften. Aber denken Sie einmal an die Arbeitslosen, an die Rentnerinnen und Rentner, an die Geringverdienenden. Sie alle müssen diese 3 Prozent mehr zahlen und es gibt nicht eine einzige Ausgleichsleistung für sie. Damit schwächen Sie die Kaufkraft. Das hat in ganz Deutschland erhebliche negative ökonomische Folgen. Bei Unternehmen, die schon jetzt an der Grenze sind, ist die Insolvenz absehbar. Dann gibt es wieder mehr Arbeitslose und Herr Steinbrück wird erneut vorschlagen, die Unternehmensteuern zu senken und die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Genau diesen Weg können wir nicht mehr gehen. (Beifall bei der LINKEN) Seit dem Jahr 2000 hatten wir in Deutschland auch das muss man einmal bei all dem Steuerkonkurrenzgerede sagen einen Exportboom. Wir sind Exportweltmeister. Das sind wir nicht deswegen, weil hier alles so teuer ist, dass man überhaupt keine Produkte mehr herstellen und verkaufen kann. Wir verkaufen weltweit prozentual mehr als alle anderen Länder; das muss man einfach sehen. Dadurch sind in Deutschland 1 Million Arbeitsplätze entstanden. Durch die Schwäche der Binnenkonjunktur, durch die Schwäche des Binnenmarktes, sind 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, sodass wir ein zusätzliches Minus von 300 000 Arbeitsplätzen haben. Das ist die Wahrheit. Warum sind wir in der Lage, uns beim Export erfolgreich ökonomisch zu entwickeln, und lassen bei der Binnenwirtschaft derart nach? Die Antwort ist ganz einfach: weil Sozialabbau herrscht, weil die Kaufkraft der Bevölkerung abnimmt (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Völliger Blödsinn! Hanebüchener Blödsinn!) und weil Sie die Bevölkerung täglich neu verunsichern, sodass sie sich gar nicht mehr traut, einzukaufen, und wenn doch, dann nur noch in diesem Jahr, weil sie glaubt, es sich nächstes Jahr überhaupt nicht mehr leisten zu können. (Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): So ein Blödsinn!) Was tun Sie noch? Neben der Mehrwertsteuererhöhung wollen Sie die Pendlerpauschale einschränken. Was heißt denn das? Sie fordern einen flexiblen Arbeitsmarkt und sagen, man müsse heute bereit sein, auch einmal 100 Kilometer weit zu fahren, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Gleichzeitig kürzen Sie die Leistungen dafür und machen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer schwerer, darauf einzugehen. Sie kürzen den Sparerfreibetrag. Das stört doch nicht Vermögende. Dieser Freibetrag ist für die Kleinsparer, die bisher davon profitiert haben, gedacht. Viele fallen dann nicht mehr unter diesen Freibetrag und müssen Steuern zahlen. Das ist wieder eine Maßnahme zulasten der sozial Schwachen. Was machen Sie bei Hartz IV? Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wo man etwas kürzen kann. Jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag dazu, wie man die Betroffenen drangsalieren kann. Was ist eigentlich eine zumutbare Arbeit? Soll ein Ingenieur verpflichtet werden können, Schuhputzer zu werden? Ist das für Sie zumutbar? (Widerspruch bei der SPD) Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft? Darf ich einmal etwas fragen: Wir haben kaum offene Stellen. Wohin wollen Sie die Leute vermitteln? Sie drangsalieren in der Hoffnung, dass weniger Anträge zum Bezug von Arbeitslosengeld gestellt werden, um auf diese Art und Weise Geld zu sparen. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN Widerspruch bei der SPD) Eine dreiste sozialdemokratische Sozialkürzung war dies: 36 Monate lang gab es das Arbeitslosengeld I. Diese Bezugsdauer haben Sie auf zwölf Monate, um zwei Drittel, gekürzt. Einen solchen Sozialabbau hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis dahin nicht gegeben; das haben Sie zusammen mit den Grünen verabredet. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sagt Herr Rüttgers Sie lassen sich aber auch vorführen! , dies gehe zu weit. Wer sehr lange Beiträge gezahlt habe, müsse länger Arbeitslosengeld I bekommen. Jetzt überholt die CDU Sie sozialdemokratisch. Sie sollten wirklich anfangen, nachzudenken. (Beifall bei der LINKEN) Was macht lassen Sie mich das noch sagen Ihr Vorsitzender, Herr Beck? Herr Beck sagt: Die Arbeitslosen sollten nicht immer alle Leistungen in Anspruch nehmen. (Dr. Peter Struck (SPD): So hat er das überhaupt nicht gesagt!) Man sollte nicht immer all das, was einem nach dem Gesetz zusteht, annehmen. Er mahnte etwas Bescheidenheit an. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir alle sollten so etwas nicht sagen. Man sollte von anderen Leuten nie verlangen, was wir auch von uns nicht verlangen. Weder hat Herr Beck bisher an das zuständige Ministerium geschrieben und darum gebeten, ihm weniger als sein gesetzliches Gehalt auszuzahlen, (Dr. Peter Struck (SPD): Das ist doch lächerlich! Was soll der Quark?) noch haben wir deshalb an Herrn Lammert geschrieben. Das werden wir auch nicht tun. Solange wir das aber nicht machen, sollten wir keinem Arbeitslosen sagen, er solle nicht all das in Anspruch nehmen, was ihm zusteht. Natürlich tut er das und das ist auch sein Recht. (Beifall bei der LINKEN Dr. Peter Struck (SPD): Lächerlich!) Frau Kanzlerin, Sie haben zu Recht über die fehlenden Ausbildungsplätze gesprochen. Es fehlen 50 000. Aber es fällt Ihnen nichts anderes ein, als das zu tun, was Helmut Kohl getan hat. Helmut Kohl hat jedes Jahr einen Brief an die Unternehmen geschrieben. Dieser war immer ähnlich wirkungslos. Er hat nichts gebracht. Hinterher gab es Tausende Jugendliche ohne Perspektive. Wenn Sie einem Jugendlichen keine Ausbildungschance geben, was soll dann aus ihm werden? Es mag sein, dass Ausbildung teuer ist. Aber Jugendgefängnisse sind viel teurer. Ich verstehe nicht, mit welchem Recht meine Generation meint, der nächsten Generation das Recht auf Ausbildung teilweise absprechen zu können. (Beifall bei der LINKEN) Ich muss Ihnen sagen: Diese Bittbriefe an die Unternehmen helfen gar nichts. Entweder muss der Staat dann ausbilden das ist nicht das Ideale, das weiß ich; aber es wäre immerhin eine Ausbildung oder wir müssen endlich die Ausbildungsplatzabgabe wirklich einführen. Sie haben es in diesem Zusammenhang zwar zu einem Gesetz gebracht, es aber nicht in Kraft gesetzt. Auch das ist typisch sozialdemokratisch. Eine solche Ausbildungsplatzabgabe wäre eine Lösung. Ich weiß, die FDP ist strikt dagegen. Sie ist immer für die Freiheit der Ausbeutung. Das geht uns zu weit; wenn ich das einmal so sagen darf. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb meine ich, dass wir hier einen anderen Ansatz brauchen. Zum Elterngeld. Am Elterngeld gefällt mir natürlich, dass man den Bezug um zwei Monate verlängern kann, wenn auch der andere Sorgeberechtigte in der Regel ist dies ja wohl der Mann zwei Monate lang zugreifen muss. Das gefällt mir. Die Nörgelei in der Union, die es dazu gibt, werden Sie schon durchstehen. Aber was mich wirklich umhaut: Eine solche verordnete Umverteilung von unten nach oben habe ich in dieser Direktheit noch nie erlebt. Ich will zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel: Alle haben einen Anspruch auf einen Bezug dieser Leistungen bis zu 14 Monaten, aber ALG-II-Empfänger haben nur einen Anspruch auf zwölf Monate. Das können Sie nicht erklären. Wieso bekommen sie die Leistungen zwei Monate weniger? Das zweite Beispiel: Sie bekamen bisher Erziehungsgeld, und zwar zwei Jahre lang monatlich 300 Euro. Jetzt sagen Sie: Es gibt die monatlichen 300 Euro nur ein Jahr lang. Das heißt, die Leistung wird nur für die Hälfte der Zeit gewährt. Ferner sagen Sie: Besserverdienende bekommen monatlich bis zu 1 800 Euro. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass Sie Arbeitslosen nur noch die Hälfte geben und den Besserverdienenden dagegen ein Elterngeld in Höhe von bis zu 1 800 Euro zugestehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Das ist eine reine Umverteilung. (Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist Neidpolitik, nur Neidpolitik!) Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote Frankreichs hätten, hätten wir im Jahr 200 Milliarden Euro Mehreinnahmen und brauchten alle diese sozialen Kürzungen nicht. Wenn wir nur den Durchschnitt der Steuer- und Abgabenquote in der EU hätten, wären unsere Einnahmen aufgrund von Steuern und Abgaben um 6 Prozent höher; das entspräche 130 Milliarden Euro. All diese Zahlen stammen aus der OECD-Statistik. Ich finde es gut, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, wie die Realitäten in anderen Ländern aussehen. Sie haben auch noch die tolle Idee, die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich warte die Ergebnisse Ihrer Gesundheitsreform ab; ich will mich vorher nicht festlegen. Das Einzige, was ich bis jetzt verstanden habe, ist: Sie wollen eine neue große Bürokratie schaffen. (Dr. Peter Struck (SPD): Quatsch! Unsinn!) Was sie bringen soll, ist mir völlig schleierhaft. Aber, wie gesagt, ich warte die Vorschläge ab. Nur noch Folgendes: Ich habe heute gelesen, sogar die Besserverdienenden sollen mehr bezahlen. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt. (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hat die Privatisierung der Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge bewirkt, dass es billiger geworden ist, wie es immer angekündigt worden ist? Es wurde gesagt, private Konzerne seien effektiv, es sei wunderbar für die Kundinnen und Kunden. Nichts davon ist eingetreten. Es gibt höhere Kosten für die Betroffenen, den Abbau von Personal und im Falle von Wohnungsgesellschaften auch noch höhere Mieten. Nehmen wir die Energieversorgung. Vier Stromkonzerne haben wir in Deutschland; es ist ja fast alles privatisiert worden. Am Anfang sank der Strompreis etwas das stimmt , aber nur am Anfang. Inzwischen ist er ins Gigantische gestiegen. Die Stromkonzerne machen riesige Gewinne und fordern, dass das von den Bürgerinnen und Bürgern und auch von der Wirtschaft bezahlt werden soll. Es ist dabei also nichts von dem herausgekommen, was Sie versprochen haben. Lassen Sie mich einen Satz zum Föderalismus sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darüber länger gesprochen. Sie haben in diesem Zusammenhang auch Bildung und Wettbewerb genannt. Ich bitte Sie, mir die Logik des Ganzen zu erklären. Die Union tritt dafür ein, dass der Arbeitsmarkt flexibler wird. Das heißt, Sie sagen Eltern mit zwei schulpflichtigen Kindern: Wenn ihr einen Arbeitsplatz wollt, müsst ihr auch bereit sein, das Bundesland zu wechseln. Das sei heute nun einmal so. Ich will jetzt einmal davon absehen, dass Ihre gesamte Ideologie in Bezug auf Kirchenchor und Schützenverein, denen man 40 Jahre lang angehören sollte, angesichts eines so flexiblen Arbeitsmarkts nicht mehr aufgeht; das geht alles ein bisschen durcheinander. Aber das macht ja nichts; das ist Ihr Problem. (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will auf etwas ganz anderes hinaus: Die Eltern können das alles doch nicht mehr verantworten. Wenn Eltern mit schulpflichtigen Kindern heute zweimal das Bundesland wechseln müssen, verhalten sie sich gegenüber ihren Kindern unverantwortlich und verschlechtern deren Bildungschancen. Es ist keine Strukturfrage, sondern eine Frage der Chancengleichheit für unsere Kinder, dass wir einheitliche Qualitätsstandards für die Bildung in ganz Deutschland einführen. (Beifall bei der LINKEN) Das Abitur in Bayern und das in Mecklenburg-Vorpommern müssen gleich viel wert werden. Dafür haben wir zu sorgen, und auch dafür, dass der Abschluss nach der zehnten Klasse und die Berufsausbildung gleichwertig werden. Ich verstehe Ihre Haltung nicht. Es ist eine einfache Frage der Logik. Da muss man nicht links oder rechts oder sonst etwas sein, sondern einfach nur vernünftig und schon könnte man das anders regeln. Dann würden Sie auch die Bevölkerung für das Prinzip des Föderalismus begeistern können. Diese Strukturhackerei, die Verfahrensweise, dass die reichen Bundesländer meinen, sie könnten die Bedingungen für die armen diktieren, wird niemandem einleuchten, und das zu Recht nicht. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur deutschen Einheit sagen. Wir haben jetzt den Abschluss zwischen den zuständigen Landesministern und dem Marburger Bund für die Klinikärzte erlebt. Ich sage Ihnen: Das ist einfach eine Unverschämtheit; es ist wirklich eine Unverschämtheit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie stellen sich im Jahre 16 der deutschen Einheit hin und sagen: Im ersten und im zweiten Jahr erhält eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den neuen Bundesländern mit Sicherheit 400 Euro weniger als eine Klinikärztin oder ein Klinikarzt in den alten Bundesländern. Das ist arrogant. Es ist demütigend. Es ist ökonomisch falsch und sozial grob ungerecht. Das ist durch nichts mehr zu verteidigen wirklich nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun wollen wir einmal sehen, wie es dort weitergeht. Aber ich weiß natürlich, wer da sitzt. Ich weiß, welche Landesminister und wer da vom Marburger Bund sitzt. Diese Arroganz müssen wir überwinden. Wir brauchen nicht eine Einheit, wir brauchen eine Vereinigung. Das heißt, wir müssen aufeinander zugehen. (Volker Kauder (CDU/CSU): Neue Töne bei der PDS!) Frau Bundeskanzlerin, Sie kommen aus Ostdeutschland; deshalb interessiert mich sehr, ob Sie diesbezüglich etwas leisten werden, ob Sie wenigstens einen Fahrplan aufstellen. Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält? Sind Sie dafür, dass man für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente erhält? Ich weiß, Sie können das nicht zum 1. Januar 2007 einführen; das verlange ich auch nicht. Aber es wäre doch nicht falsch, wenn Sie Auskunft gäben und sagten: Das ist unser Fahrplan. In diesen Schritten wollen wir das erreichen. Wir haben diesbezüglich noch nichts von Ihnen gehört. Ich will wissen, ob Sie die Angleichung wollen oder ob sie bei dieser Bundesregierung abgeschrieben ist. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir die Arbeitslosigkeit senken wollen, brauchen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor wie in Mecklenburg-Vorpommern. 600 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter arbeiten dort nachmittags an den Schulen, machen Förderunterricht und vieles andere. Sie erzielen Einnahmen. Diese Einnahmen reichen aber nicht aus, um sie zu bezahlen. Also zahlt das Land etwas dazu. Dadurch spart der Bund Arbeitslosengeld. Glauben Sie, wir bekommen solch eine kleine Strukturfrage geregelt? Man könnte etwa sagen: Von dem gesparten Geld geht die Hälfte an Mecklenburg-Vorpommern, dann könnte es den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor erweitern. So könnte man das in jedem Land machen. Hier sind also Verbesserungen möglich. Wir brauchen keine Arbeitszeitverlängerung, sondern Arbeitszeitverkürzung. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Blödsinn!) Wir brauchen gerechte Steuern ich hatte darüber gesprochen und Investitionen in Bildung, Kultur, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur. Liebe Frau Bundeskanzlerin, die Situation der Ostdeutschen, der Arbeitslosen in ganz Deutschland, der gering und durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Kranken und der Rentnerinnen und Rentner verlangt unser Nein zu Ihrem Etat. Danke. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN)Keine Zustimmung für einen Haushalt, in dem die soziale Ungerechtigkeit grob zunimmt.
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Gregor Gysi,