Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Finanzrahmen der Europäischen Union für die Jahre 2028 bis 2034 werden erneut die Mittel für Infrastruktur gekürzt und – wie ist es anders zu erwarten? – die Mittel für Rüstung und Raumfahrt erhöht. Diesmal geht es um 130 Milliarden Euro mehr. Das ist absurd. Sagen Sie doch lieber den Bürgerinnen und Bürgern ins Gesicht, dass Sie das Geld in die Rüstung statt in Brücken, Straßen oder Schienen investieren wollen. Rüstung dieses Ausmaßes und folglich die künstlich hochgeschraubten Gewinne der Rüstungskonzerne liegen nicht im Interesse der Einwohnerinnen und Einwohner der Europäischen Union. Deren vorrangiges Interesse ist, in sozialen Fragen eine Antwort zu bekommen. Sie interessiert, was bei ihnen ankommt. Das ist die entscheidende Frage.
Die Tagung des Europäischen Rates hätte ja auch dazu dienen können, über die sozialen Interessen der Mehrheit in der Europäischen Union zu sprechen: Einkommensunterschiede, Sozialstandards, bezahlbarer Wohnraum, Förderung abgehängter Regionen, Förderung von Bildung oder des öffentlichen Personennahverkehrs – um nur ein paar Beispiele zu nennen, wo Leerstellen bestehen.
(Beifall bei der Linken)
Das bisschen randständige Reden über das Wohnen am Rande der Tagesordnung erfüllt doch eher nur eine Alibifunktion. Stattdessen fressen Ihre Lieblingsthemen wieder die Zeit auf: wie Sie es den reaktionären Rechten in Europa recht machen können – ich habe es gerade wieder gehört – bei der Begrenzung der Migration, wie Sie außenpolitisch und wirtschaftlich im Dominanzkampf weltweit möglichst als Mitspieler in der vordersten Rolle ernst genommen und wahrgenommen werden wollen – vor allem geht es auch da wieder um Rüstung, Rüstung, Rüstung. Das lehnen wir als Linke ab.
(Beifall bei der Linken)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren bei den sozialen Themen in der Europäischen Union schon deutlich weiter. 2021 haben beispielsweise die Sozialministerinnen und Sozialminister aller 27 Mitgliedstaaten in Lissabon beschlossen, dass die skandalösen Zustände der Obdachlosigkeit in der EU bis 2030 zu beenden sind.
(Jörn König [AfD]: Gucken wir doch mal!)
Was ist denn aus diesem Ziel geworden? In Bologna zum Beispiel liegen nachts arme Menschen zum Schlafen unter diesen berühmten Arkadengängen, auf Mallorca leben Einheimische in Wohnwagen, und wenn wir ins eigene Land schauen, sehen wir, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit zunehmen.
Vor zwei Monaten hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen bekannt gegeben, dass über eine halbe Million Menschen in Deutschland keine Wohnung haben. Hier erwarten wir Antworten. Das ist ein Skandal mitten in Europa.
(Beifall bei der Linken)
Die beschriebene Wohnungsnot ist nur die Spitze des Eisbergs. Das kommende Wintersemester hat in Deutschland gerade begonnen, und auch hier sehen wir wieder, wie wenig Wohnraum Studierende zur Verfügung haben, um in den Universitätsstädten unterzukommen.
Doch es trifft längst die große Masse. Die explodierenden Mieten, die Heizkosten in den Metropolen führen dazu, dass sich Otto Normalverbraucher, und dazu zählen Pflegekräfte, Bauarbeiterinnen, Bäckermeisterinnen, Arbeitende aus unterschiedlichen Berufszweigen, bei Neuvermietung und Mietsteigerungen Wohnen schlicht und ergreifend nicht mehr leisten können, und das ist ein Skandal.
(Beifall bei der Linken)
Deswegen, Herr Merz, erwarte ich von Ihnen – das war hier bereits Thema –, dass Sie sich dafür einsetzen, und zwar in der Europäischen Union vorangehend, dass wir zu einem bundesweiten Mietendeckel kommen.
(Beifall bei der Linken)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leere Versprechen in der Außenpolitik helfen der Ukraine nicht weiter. Die Beitrittsperspektive für die Ukraine war Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates. Dabei wird eine Absicht politisch verkauft, die kaum realistische Chancen auf baldige Umsetzung hat. Glaubt man hier oder in der Ukraine ernsthaft, dass alsbald ein Aufbau von Wirtschaft und Industrie durch üppige EU-Gelder erfolgen wird? Was für eine ungeheure Heuchelei und Täuschung gegenüber der Ukraine! Der Beitrittsprozess wird sich in Wahrheit endlos hinzerren. Das ist so.
Die wichtigste Aufgabe für die Ukraine ist der Frieden, der Vorbedingung für alles Weitere ist: das Ende des Sterbens, das Ende des Leids, das Ende der Zerstörung, den Stopp des weiteren Verlusts von ukrainischem Land, den Wiederaufbau und nicht zuletzt eine stabile, demokratische, rechtsstaatliche, politische Nachkriegsordnung. Daher bezweifeln wir auch, ob es gut ist, dass der Einsatz für Verhandlungen, wie sie jetzt genannt werden, mit dieser Personalie besetzt der richtige Weg ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der UN-Vollversammlung in New York hat der kasachische Präsident Tokajew in Bezug auf den Ukrainekrieg angeboten, dass sein Land Ort für Friedensverhandlungen sein könnte. Seit mittlerweile 44 Monaten setzen die Regierungen der europäischen Staaten und die Kommission in Brüssel darauf, dass die Ukraine mit mehr Waffen und noch mehr Kriegstechnik das Momentum zurückgewinnt, den russischen Vormarsch stoppt und eine Kriegswende gelingt. Nach dieser schier unendlichen Phase des Leidens der Soldatinnen und Soldaten und der Zivilbevölkerung ist es endlich Zeit, dass die Einsicht greift, dass der militärische Weg nicht oder allenfalls um den Preis unermesslichen Leidens zum Erfolg führen wird.
(Siemtje Möller [SPD]: Dann soll die Ukraine sich ergeben, oder was? Die Ukraine ist dann nicht mehr da!)
Unterdessen schwindet der Rückhalt für endlose Waffenlieferungen – auch in unserem Land. Die rechten Kräfte Europas bis hin zu rechten Regierungen in Ungarn und nun auch in Tschechien machen sich diese Erfolglosigkeit, diese Ausweglosigkeit mehr und mehr propagandistisch zunutze. Herr Merz, unterstützen Sie sichtbar und wahrnehmbar Friedensinitiativen wie die von Tokajew!
(Beifall bei der Linken)
Im Zuge des EU-Plans „Bereitschaft 2030“ sollen in den nächsten vier Jahren weitere 800 Milliarden Euro zusätzlich für die Rüstung in der Europäischen Union ausgegeben werden. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI gibt die EU als Block schon jetzt mehr für Rüstung aus als die Volksrepublik China, doppelt so viel wie Russland und dreimal so viel wie Indien. Ist es das Ziel, dass die EU eines Tages die USA in den Schatten stellt? Träumen Sie von einem waffenstarrenden Europa? Bedeutet ein gutes Europa für die Mehrheit seiner Menschen nicht vielmehr, dass es ein lebenswerter Ort mit sozialer Sicherheit und Verantwortung für seine Natur ist?
Herr Spahn, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Ja, wir sind beieinander, dass es gut ist, dass die überlebenden israelischen Geiseln endlich frei sind, dass die Waffen endlich schweigen. Endlich können die Menschen in Gaza zumindest aufatmen. Aber Not und Zerstörung bleiben erhalten. Man kann größte Zweifel haben, ob die auf unbegrenzte Zeit angelegte Leitung der Verwaltung im Gazastreifen durch Ex-Premier Blair zur Konfliktlösung beitragen wird.
Dem pathetischen Bekenntnis der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und der Palästinenser sehen wir keine entsprechenden Taten folgen. Hier können Sie sich doch einmal an den anderen EU-Staaten ein Beispiel nehmen und nicht nur von einer Zweistaatenlösung am Sankt-Nimmerleins-Tag sprechen, sondern sie endlich auch einsetzen.
(Beifall bei der Linken)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich doch mal vor, was geschehen würde, wenn die Europäische Union ihr Aufrüstungspaket „Bereitschaft 2030“ stoppen und die dann freiwerdenden 800 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren in die Bekämpfung von Obdachlosigkeit, in den sozialen Wohnungsbau, in den öffentlichen Personennahverkehr stecken würde. Stellen Sie sich nur mal vor, was nach spürbaren sozialen Effekten für die Mehrheit der Menschen geschehen würde.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben aus dem Sozialismus nichts gelernt! Nichts gelernt!)
Vielleicht würden viele von ihnen deutlich positiver über die Europäische Union denken und sprechen. Sie würden einen Nutzen in ihr sehen. Nationalisten hätten es dagegen schwer. Die EU wäre etwas ganz anderes in der Wahrnehmung aller Europäerinnen und Europäer und weltweit – ein Kontrast zu Imperialismus und globaler Machtpolitik, attraktiv als Vorbild und geschätzt als Friedensgarant. Davon träumen wir nicht mit geschlossenen Augen; das haben wir als waches Ziel.
Ich will mich den Worten der Kollegin von den Grünen anschließen: Herr Merz, der offensichtliche Ausrutscher bei Ihrer Formulierung, die Sie gebraucht haben, was das Stadtbild anbetrifft,
(Beatrix von Storch [AfD]: Das Offensichtliche aussprechen! Herrgott, in Connewitz kann das noch Sorge sein!)
war nicht nur deplatziert, sondern hat einen weiteren Stachel in unsere Demokratie gesetzt, und das sollten Sie als Bundeskanzler nicht tun. Deswegen erwartet auch die Fraktion Die Linke hierfür Ihre Entschuldigung.
Frau Präsidentin, vielen Dank.
(Beifall bei der Linken)