Zum Hauptinhalt springen

»Sie vergemeinschaften die Schulden der Banken und Hedgefonds«

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi antwortet auf die Regierungserklärung der Kanzlerin zum EU-Gipfel am 28./29. Juni in Brüssel

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Bundeskanzlerin, Griechenland ist im fünften Jahr der Rezession am wirtschaftlichen Abgrund, und der Bevölkerung droht Armut. Zypern stellt als fünftes Land einen Antrag an den Rettungsschirm. Es ist nämlich von der Krise in Griechenland mit betroffen.

Portugal und Irland sind ebenfalls in der Rezession, und zwar dank der Spardiktate. Italien schlittert gerade in eine schlimme Krise. Spanien ist ebenfalls in der Rezession, und es droht ein Kollaps der Banken. Deshalb hat Spanien ebenfalls einen Antrag an den Rettungsschirm gestellt.
Aber gestern   das will ich Ihnen erzählen   war der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Iveco, einer Firma in Ulm, bei mir. Er hat mir erzählt, dass diese Firma Lkws nach Italien und Spanien verkauft. Da Italien und Spanien immer weniger Geld haben, werden dort immer weniger Lkws gekauft. Deshalb hat Iveco mitgeteilt, sie müssten jetzt 670 Beschäftigte und 100 Azubis entlassen. Das ist ihr Plan.

Nun hat der Betriebsrat Folgendes erfahren: Iveco will in seine Firma, die es in Spanien hat, investieren, und die spanische Regierung hat zugesagt, dass sie dafür 500 Millionen Euro bekommen.

Jetzt müssen Sie den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern Folgendes erklären: Wir zahlen Geld, um den Rettungsschirm aufzustocken. Das sind Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger. Spanien sagt, es sei pleite. Darum braucht Spanien dringend Geld. Aber dann bezahlen sie 500 Millionen Euro, um hier 670 Arbeitsplätze und 100 Azubistellen abzubauen. Das ist doch wohl nicht zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir dürfen uns von den Unternehmen in Europa nicht länger so vorführen und veralbern lassen.

(Zuruf von der SPD: Gysi steigt ins Bett von Brüderle!)

80 Jahre nach der letzten großen Wirtschaftskrise wurden Lehren daraus nicht beherzigt.
Ich sage auch Ihnen, Herr Brüderle: Schulden lassen sich weder mit Ausgabenkürzungen bei Renten, Gesundheit und Investitionen noch mit Lohnsenkungen und der Erhöhung von Verbrauchsteuern à la Reichskanzler Heinrich Brüning bekämpfen. Denn diese Politik beschleunigt den wirtschaftlichen Niedergang und erhöht die Verschuldung.

(Beifall bei der LINKEN)

EU-Kommissar Barnier hat gesagt, dass schon 4 500 Milliarden Euro für die Bankenrettung ausgegeben worden sind: eine unvorstellbare Summe. Deshalb bleibe ich dabei: Ihr Begriff „Staatsschuldenkrise“ ist falsch; es ist eine Bankenkrise. Die Staaten sind nur deshalb so hoch verschuldet, weil sie permanent die Banken und Hedgefonds retten.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es kommt noch eine neue Dimension der Krise auf uns zu. Bis 2014 brauchen Spanien 350 Milliarden Euro und Italien 670 Milliarden Euro, nur um die alten Schulden abzulösen. Woher soll das Geld kommen?

Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass die Europäische Zentralbank zu 27 Prozent von den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bezahlt wird. Ich bleibe bei meinem Beispiel   ich muss es wiederholen  : Die Europäische Zentralbank hat den großen privaten Banken in Europa 1 Billion Euro zur Verfügung gestellt: als Darlehen für drei Jahre zu 1 Prozent Zinsen. Die Staaten, die das Geld brauchen, bekommen es jetzt von diesen Banken. Das heißt, wir vergeben an die großen privaten Banken Staatsgeld zu 1 Prozent, und dann verlangen diese von Spanien und Italien 6 Prozent Zinsen für das Geld, das sie ihnen geben.

Erklären Sie doch einmal der Bevölkerung, warum wir nicht direkt ein Darlehen an Spanien oder Italien vergeben!

(Beifall bei der LINKEN)

Warum müssen wir dazwischen noch die Großaktionäre der privaten Banken reich machen, und zwar zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die die Differenz bezahlen müssen?

(Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Das kann man nicht erklären, weil das Beispiel falsch ist!)

Die Mehrheit der anderen Staaten der Euro-Zone ist zu einer Politik, wie sie von der Bundesregierung und Frau Merkel vorgegeben wird, nicht mehr bereit: weder die französische noch die italienische noch die spanische Regierung.

Jetzt habe ich eine Frage an die Bundeskanzlerin und an den Bundesfinanzminister. Es ist mir sehr ernst. Sie wollen doch, dass der Fiskalvertrag in diesem Jahr in Kraft tritt. Dann würde er ab 1. Januar 2013 gelten. Wenn Sie das wollen, dann erklären Sie mir Folgendes: Im Fiskalvertrag steht, dass die Schulden eines Staates auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt sind. Unsere Schulden liegen heute bei 81,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dann müssen wir   das besagt der Vertrag   20 Jahre lang pro Jahr 5 Prozent der überschießenden Verschuldung abbauen. Das wären zurzeit etwa 25 Milliarden Euro. Ferner regelt der Vertrag, dass die Neuverschuldung nur bei 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen darf. Das wären zurzeit 12,5 Milliarden Euro. Nun erklären Sie doch einmal, Herr Bundesfinanzminister Schäuble, weshalb Sie dann für 2013 den Entwurf eines Haushaltsplans mit einer Neuverschuldung von 18,8 Milliarden Euro vorlegen. Glauben Sie nicht daran, dass der Vertrag in Kraft tritt? Hoffen Sie auf einen Erfolg der Linken beim Bundesverfassungsgericht?

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Oder wollen Sie ernsthaft, dass der Vertrag in Kraft tritt, und gleich mit einer Vertragsverletzung beginnen? Die Folgen wären dann übrigens verbindliche, von der EU-Kommission festzusetzende Sanktionen, die wir ebenfalls bezahlen müssten. Aber Deutschland kann doch nicht den Vertrag in Kraft setzen wollen und sich gleich von Beginn an mit einer Verletzung abfinden.

Meine zweite Frage. Wenn wir dann jährlich etwa 25 Milliarden Euro an Schulden abbauen müssen: Nichts davon ist in Ihrem Haushaltsplan vorgesehen. Können Sie der Bevölkerung einmal erklären, wie Sie die 25 Milliarden Euro eigentlich einsparen wollen? Was wollen Sie denn kürzen: die Zuschläge zur Rente, Hartz IV? Was haben Sie vor? Oder wollen Sie Steuern erhöhen, vielleicht die Mehrwertsteuer? Ich finde, die Bundesregierung ist verpflichtet, vor Beschlussfassung am Freitag der Bevölkerung Auskunft zu geben, wie die 25 Milliarden Euro im nächsten Jahr eingespart werden sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wundere mich   das sage ich ganz klar   über SPD und Grüne, dass sie diese Frage noch nie gestellt haben. Bevor Sie Ja zum Fiskalvertrag gesagt haben, hätten Sie doch fragen müssen: Wo und wie wollt ihr im nächsten Jahr die 25 Milliarden Euro einsparen?   Wir wissen es nicht. Kein Mensch weiß es. Das geht überhaupt nicht. Das ist ein Ja zur einer dunklen Zukunft ohne Auskunft.

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens gibt der Multimilliardär und König der Hedgefonds Soros dem Euro noch drei Monate

(Widerspruch bei der FDP)

- den lieben Sie doch  , Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, weniger als drei Monate. Wenn Griechenland aus dem Euro fällt, dann   das sage ich Ihnen   wird auch Portugal herausfallen. Dann ist der Euro bald tot. Das würde die deutsche Exportwirtschaft so schwer treffen, dass auch wir dann in eine schwere Krise gerieten.
Nun sagen Sie, Herr Brüderle, dass Sie den Schuldensozialismus ablehnen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht nur den Schuldensozialismus, den Sozialismus überhaupt! - Volker Kauder (CDU/CSU): Kommunismus!)

Jetzt muss ich Ihnen einmal etwas über den Sozialismus erklären. Passen Sie einmal auf!

(Rainer Brüderle (FDP): Nein!)

- Doch, doch!   In Wirklichkeit haften wir längst für die Schulden. Das sind unsere Steuergelder in der EZB. Sie erzählen Unsinn. Es gibt schon längst eine Schuldenhaftung. Aber davon abgesehen, werde ich Ihnen jetzt beweisen, dass Sie alle Sozialistinnen und Sozialisten sind, auch wenn Sie das nicht wissen, egal ob Sie der FDP, der Union, den Grünen oder der SPD angehören.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur ihr nicht!)

- Zu uns komme ich noch. - Sie alle sind Sozialistinnen und Sozialisten. Wissen Sie auch, warum? Sozialismus heißt, man will vergemeinschaften. Was Sie vergemeinschaften, sind die Schulden der Banken und Hedgefonds. Diese Schulden dürfen immer alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zahlen. Wir sind die Einzigen, die zugeben, Sozialistinnen und Sozialisten zu sein. Aber wir wollen gerne die Banken vergesellschaften und damit den Profit vergemeinschaften. Das ist der gravierende Unterschied zwischen Ihren und unseren Sozialismusvorstellungen.

(Beifall bei der LINKEN   Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Gysi, die Banken haben doch keinen Profit mehr!)

- Die Deutsche Bank hat gerade einen dicken Profit gemacht, nachdem Sie so viel Geld hineingesteckt haben. Das stimmt gar nicht, was Sie da erzählen.
Was wir wirklich brauchen, wenn wir die Krise bewältigen wollen, ist natürlich eine einmalige Millionärsabgabe in ganz Europa.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

- Sie wollen, dass die Reichen nie etwas bezahlen müssen. Sie kürzen das Elterngeld der Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfänger oder   besser gesagt   streichen es. Führen Sie doch einmal eine Millionärsabgabe in Europa ein! Die haben von der Krise profitiert, nicht die anderen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann brauchen wir selbstverständlich eine jährliche Vermögensteuer in Deutschland. Darf ich Ihnen etwas sagen? Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben ein Geldvermögen von 3 Billionen Euro. Unsere gesamten Staatsschulden belaufen sich auf 2 Billionen Euro. Selbst wenn wir das direkt miteinander verrechneten, behielten die reichsten 10 Prozent noch immer 1 Billion Euro. Das fordern wir gar nicht. Aber dass die Betreffenden eine angemessene Steuer zahlen, ist so etwas von selbstverständlich, dass ich mich wirklich wundere, wie sehr Sie sich dagegen wehren, nur weil es sich hier um die Lobbyisten handelt, auf die Sie Wert legen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen noch etwas. Zu Beginn der Krise gab es 720 000 Vermögensmillionäre in Deutschland. Jetzt gibt es 951 000. Deren Zahl nimmt also zu. Die Armut wächst, und auch der Reichtum wächst. Keinen zusätzlichen Euro Steuern verlangen Sie von ihnen. Das ist so ungerecht, dass Sie das nicht durchhalten werden.

Nun haben aber SPD und Grüne zwei Bedingungen gestellt. Die eine Bedingung war die Einführung der Finanztransaktionsteuer, die zweite Bedingung war die Forderung nach Maßnahmen zur Steigerung des Wachstums. Ich komme zunächst zur Finanztransaktionsteuer. Wenn ich den Bundesfinanzminister richtig verstanden habe, dann sagt er, dass die Einführung nicht vor 2014 stattfinden wird. Das geht noch langsamer als die Fertigstellung des neuen Flughafens von Berlin, stelle ich nur fest.

Aber   jetzt kommt der eigentliche Punkt   das ist doch gar keine Finanztransaktionsteuer, es ist höchstens eine Börsenumsatzsteuer; denn nach den bisherigen Vorgaben fehlen zwei Dinge: der Derivatehandel und der Hochfrequenzhandel.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Barbara Hendricks (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)

Um das zu erklären: Dabei sitzt man an einem Computer und schiebt die Millionen hin und her. Nun hat der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister ausgerechnet, dass die kleine Börsenumsatzsteuer, wenn sie, so wie von der EU-Kommission geplant, kommt, in Deutschland 2 Milliarden Euro einbringt. Wenn aber der Derivatehandel und der Hochfrequenzhandel hinzukämen, hätten wir Mehreinnahmen von 27 Milliarden Euro.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!)

Warum lassen Sie sich denn mit 2 Milliarden Euro abspeisen, wenn es auch 27 Milliarden Euro sein können?

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Wachstumspaket sage ich Ihnen Folgendes: Es geht um 130 Milliarden Euro; das hat die Bundeskanzlerin gerade gesagt. Es wird aber kein Euro zusätzlich bereitgestellt, sondern es werden die von der EU schon eingeplanten Gelder nur umgewidmet. Im Kern haben Sie diesbezüglich nichts erreicht.

Ich sage Ihnen eines: Der Zerfall des Euro gefährdet die europäische Integration. Wir brauchen einen völlig neuen Ansatz mit einer Angleichung von Steuern, Löhnen und Sozialleistungen auf hohem Niveau, mit einer Abkopplung von den privaten Finanzmärkten, mit einer Rückkehr zum Primat der Politik, mit mehr Sozialstaat statt seiner Demontage und mit mehr Demokratie.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.   Durch den Fiskalpakt gibt der Bundestag Befugnisse des Bundestages ab, aber nicht etwa an das Europäische Parlament, sondern an die EU-Kommission und damit an Regierungen. Schon das ist undemokratisch. Wir stehen vor einem Scheideweg: entweder ein Europa mit strammem Sparkorsett, also unsozial, mit Fiskaldiktatur und weniger Demokratie oder ein solidarisches Europa mit deutlich mehr demokratischen Mitwirkungs- und Entscheidungsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Am Freitag werden Sie es entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN)