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Warum unterzeichnen Sie einen Fiskalvertrag ohne Kündigungsmöglichkeit?

Archiv Linksfraktion - Rede von Gregor Gysi,

Rede von Gregor Gysi vor den Abstimmungen über ESM und Fiskalpakt

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Bundeskanzlerin, wenn es stimmt, dass Sie bei der FDP-Fraktion gesagt haben, dass es, solange Sie leben, keine Euro-Bonds gibt, dann muss ich Sie aufklären: Das Kanzleramt wird nicht auf Lebenszeit vergeben. Zwischendurch finden immer wieder Wahlen statt, und dabei kann man auch abgelöst werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich habe Fragen an Sie:
Warum, Frau Bundeskanzlerin, unterzeichnen Sie einen Fiskalvertrag ohne Kündigungsmöglichkeit? Warum schreiben Sie damit die Schuldenbremse, EU-Recht und die EU-Sanktionen aus den Art. 109, 115 und 143 d des Grundgesetzes dauerhaft fest, obwohl der Art. 79 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes die Zulässigkeit der Änderung dieser Artikel regelt? Ist Ihnen nicht klar, dass schon das grundgesetzwidrig ist?

(Beifall bei der LINKEN)

Warum schränken Sie die Budgethoheit des Bundestages dadurch gravierend ein, dass Sie den Grad der Neuverschuldung, den Abbau von Schulden und automatische EU-Sanktionen für Deutschland völkerrechtlich verbindlich festlegen? Wissen Sie nicht, dass Sie damit die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes, nämlich Art. 79 Abs. 3 und Art. 20, verletzen? Aus diesen Gründen werden wir Klage erheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach dem Fiskalvertrag, falls er in Kraft tritt, dürfen im nächsten Jahr nur neue Schulden von 12,5 Milliarden Euro aufgenommen werden. Warum, Frau Bundeskanzlerin, planen Sie dennoch eine Neuverschuldung von 18,8 Milliarden Euro? Es geht natürlich um die Gesamtverschuldung Deutschlands und damit auch um die Schulden der Länder und Kommunen. Wollen Sie, dass die Länder und Kommunen noch weiter geknebelt werden, damit sie sich so gut wie nichts mehr für Kinder, Jugendliche, Bildung, Kultur und Sport leisten können? Haben Sie deshalb dafür gesorgt, dass die Praxisgebühr bei Ärztinnen und Ärzten zulasten der Kranken nicht gestrichen wird, um die Überschüsse der Krankenkassen gegen die Neuverschuldung zu verrechnen?

Nach dem Fiskalvertrag, wenn er denn in Kraft tritt, muss Deutschland ab 1. Januar 2013 jährlich rund 25 Milliarden Euro an Schulden   und das 20 Jahre lang   abbauen. Was planen Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu kürzen, oder welche Steuern sollen deshalb erhöht werden? Warum geben Sie diesbezüglich keine Auskunft?

Glauben Sie wirklich, das geht mit statistischen und spielerischen Tricks, wie es Bundesminister Schäuble in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung versuchte? Er hofft ja, dass die Wirtschaftsleistung so steigt, dass der Betrag von 25 Milliarden Euro sich entweder rechnerisch erledigt oder deutlich geringer wird. Wenn die Wirtschaftsleistung aber nicht so steigt oder gar sinkt, wie 2009, Frau Bundeskanzlerin, so bleibt meine Frage: Was soll gekürzt oder welche Steuern sollen dann erhöht werden?

Ich frage SPD und Grüne erneut: Weshalb fragen Sie nicht danach? Weshalb wollen Sie keine Auskunft?

(Beifall bei der LINKEN)

Bitte erklären Sie, Frau Bundeskanzlerin, weshalb von der Europäischen Zentralbank   das heißt zu 27 Prozent von deutschen Steuerpflichtigen; ein Anteil, der jetzt übrigens steigen wird   den großen europäischen Privatbanken ein Darlehen von 1 Billion Euro für drei Jahre und 1 Prozent Zinsen gewährt wird, die dieses staatliche Geld dann weiterverleihen, zum Beispiel an Italien und Spanien, und dabei über 6 Prozent Zinsen verlangen. Warum müssen den Großaktionären der Privatbanken Milliarden Euro auf Kosten unserer Steuerpflichtigen zugeschanzt werden?

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben Sie auf dem EU-Gipfel geregelt, dass das Geld vom Rettungsschirm nicht mehr über die Regierung, sondern auch direkt an Banken und Hedgefonds fließen kann. Ich danke Ihnen für die geschaffene Klarheit. Nun weiß jede und jeder: Es geht nur um die Rettung der Banken und Hedgefonds. Dahinter steckt aber ein Trick. Dadurch, dass das Geld nicht über die Regierung, sondern gleich an die Banken fließt, muss formal die Staatsverschuldung nicht erhöht werden. So vermeiden Italien und Spanien die Diktate der Troika, vielleicht sogar jede Auflage, was diese freute und Sie wohl nicht, was aber eindeutig dem Rettungsschirmvertrag widerspräche, den Sie trotzdem heute hier beschließen lassen wollen.

Sie verlangen von Staaten, die Geld für ihre Banken und Hedgefonds bekommen, dass Löhne, Renten, Sozialleistungen und Investitionen gekürzt werden. Wissen Sie nicht, Frau Bundeskanzlerin, dass dadurch die Wirtschaftsleistung sinkt, die Arbeitslosigkeit zunimmt und die Steuereinnahmen rückläufig sind? Warum verlangen Sie keine Steuergerechtigkeit, keine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung, keine Schließung der Steueroasen? Warum verlangen Sie keine Millionärssteuer? Warum müssen die Nutznießer der Krise nichts, aber auch gar nichts für die Kosten der Krise bezahlen?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich einer Nachbarin oder einem Freund Geld leihe, möchte ich auch deshalb, dass es ihr oder ihm gut geht, weil ich nur dann mein Geld zurückbekomme. Sie, Frau Bundeskanzlerin, organisieren aber das Gegenteil. Warum begreifen Sie nicht diese schlichte Logik?
Und warum, Frau Bundeskanzlerin, lassen Sie über all das nicht unsere Bevölkerung entscheiden?

(Beifall bei der LINKEN)

Europa, Frau Bundeskanzlerin, ist sehr wichtig. Treiben Sie es den Europäerinnen und Europäern nicht aus!

(Beifall bei der LINKEN)