Antwort auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu den Terroranschlägen am 7. Januar 2015 in Paris
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihnen bei der schärfsten Verurteilung der erlebten Terroranschläge in vollem Umfange zu. Ich begrüße auch die gemeinsame Verurteilung durch den Bundestag, halte diese allerdings für selbstverständlich.
Diese Attentate sind ein Angriff auf die Demokratie, die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf Leben. Es ist völlig legitim, Satire mal als geschmackvoll, mal als geschmacklos einzuschätzen. Aber Satire darf alles, sonst kann sie ihren Charakter nicht austragen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ein großes Erlebnis war für mich die Mahnwache am Brandenburger Tor auf Einladung der muslimischen Verbände. Die gemeinsame Verurteilung der terroristischen Akte durch Christinnen und Christen, Muslima und Muslime, Jüdinnen und Juden, Atheistinnen und Atheisten, kurz: durch die gesamte Gesellschaft, war ein wichtiger Akt.
Wir müssen nun allerdings den Missbrauch der Terroranschläge durch die Anführer der Pegida-Bewegung verhindern.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Zusammenleben mit friedlichen Bürgerinnen und Bürgern, auch mit anderer Kultur und anderen Religionen, muss gefördert werden. Die große Mehrheit der Menschen ging für diese Ziele auf die Straße. Pegida spricht für eine Minderheit, nicht für das Volk. Die große Mehrheit denkt und handelt völlig anders.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist es wichtig, dass wir Pegida geschlossen verurteilen. Niemand sollte versuchen, zum halben parlamentarischen Arm dieser Bewegung zu werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es existieren abstrakte Ängste vor dem Fremden. Mitläufer, die keine Nazis sind, müssen wir für die Gesellschaft zurückgewinnen; das wird schwer genug. Wir brauchen eine gemeinsame Aufklärungskampagne durch ein Aufklärungsbündnis aller Fraktionen im Bundestag, aller kirchlichen Konfessionen und aller Gewerkschaften zusammen mit der Kunst, der Kultur, dem Sport und den Wissenschaften.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber die Hauptverantwortung liegt bei der Politik. Ich sage das hier so offen: Beim Abbau von Ängsten haben wir alle versagt. Wir sollten diesbezüglich selbstkritisch über uns nachdenken.
(Beifall bei der LINKEN)
Menschen in Not brauchen Hilfe. Staat und Gesellschaft sind verpflichtet, ihnen zu helfen. Das gilt nicht nur für durch Krieg und Bürgerkrieg traumatisierte Flüchtlinge, sondern auch für alle Bürgerinnen und Bürger, die in große Not geraten sind. Deshalb müssen wir allen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, wie Sie es getan haben, Frau Bundeskanzlerin, danken, die so viel Zeit damit zubringen, Flüchtlingen und anderen zu helfen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber ich füge hinzu: Die Demonstrantinnen und Demonstranten von Pegida würden, wenn sie in der gleichen Situation wären wie die Flüchtlinge, ebenso Hilfe verlangen und erwarten und wahrscheinlich auch bekommen.
Der Ruf der Union nach stärkeren Geheimdiensten sowie schärferen Gesetzen und insbesondere nach einer Vorratsdatenspeicherung löst das gilt auch für das, was Sie dazu gesagt haben, Frau Bundeskanzlerin die Probleme nicht, im Gegenteil.
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Versuch wurde jedes Mal unternommen und blieb wirkungslos. In Frankreich gibt es eine umfassende Erfassung von Vorratsdaten sowie eine sehr enge Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei. Das schreckliche Attentat konnte so aber nicht verhindert werden. Das Gegenteil ist richtig: Umfassende Bürgerrechte und eine stärkere Demokratie sind wichtige Voraussetzungen im Kampf gegen den Terrorismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Terrorismus, für den der Islam missbraucht wird, hat Ursachen. Al-Qaida und Islamischer Staat sind auch Folge und Produkte von Militärinterventionen. Al-Qaida entstand im Krieg in Afghanistan während der Besatzung durch die Sowjetunion. Damals rüsteten die USA die Taliban und diese Terrorgruppe im Kampf gegen die Sowjetunion auf nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Nach dieser Logik wurde auch im Bürgerkrieg in Syrien verfahren. Die USA, Saudi-Arabien, Katar und andere Golfstaaten unterstützten Terrororganisationen im Kampf gegen Assad. Der Islamische Staat entstand. Erst spät, viel zu spät wurde diese offene Unterstützung eingestellt. Der Irakkrieg von 2003 war völkerrechtswidrig und ein großer Fehler mit verheerenden Folgen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir die Ursachen und Bedingungen von Terrorismus wirksam bekämpfen wollen, dann heißt das für uns: Wir müssen weltweit für die Achtung des Rechts auf Leben eintreten.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wiederum verlangt, zu begreifen: Erstens. Die Strategien von NATO und den USA, Regimewechsel und die Durchsetzung ökonomischer Interessen von außen durch Krieg herbeizuführen, sind nicht nur gescheitert. Im Krieg wird Leben vernichtet. Dadurch entsteht eine Verachtung des Rechts auf Leben. Diese Verachtung ist eine Bedingung des Terrorismus. Im Krieg entsteht mehr und neuer Hass, der zur Verachtung von Leben, aber auch zur Bereitschaft zu Terrorismus führen kann. Wenn als Kollateralschaden eine Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan getötet wird, was, glauben Sie von Union, SPD und Grünen denn, entsteht im Umfeld: Freundschaft, Dankbarkeit oder Hass?
Man kann anderen Gesellschaften auch nicht eine andere Kultur aufzwingen. Der Afghanistan-Krieg sollte Al-Qaida zerstören. Diese Terrororganisation ist aber nur umgezogen nach Pakistan und hat dort gerade über 100 Kinder getötet. Not und Elend in Afghanistan haben sich vergrößert. Sie alle wissen, dass Ihre Entscheidung für den Afghanistan-Krieg falsch war, haben aber nicht den Mut, das einzuräumen und die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ohne die genannte falsche Aufrüstung in Syrien und ohne den falschen Irak-Krieg gäbe es den Islamischen Staat nicht, zumindest nicht so, wie er heute existiert.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Staaten in Libyen, im Irak, im Sudan und in Somalia sind zerstört. Wer Terrorismus überwinden will, muss Kriege stoppen.
(Beifall bei der LINKEN)
Deutschland darf sich nie wieder an Kriegen beteiligen und wie beim Jugoslawienkrieg das Völkerrecht über Bord werfen.
Zweitens. Die deutschen Waffenexporte, zumindest die an Diktaturen und in Kriegs- und Krisengebiete, müssen doch unverzüglich gestoppt werden, auch und gerade an das auspeitschende Saudi Arabien.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Terrorismus nutzt auch Hunger, Armut, Elend und Bildungsnotstand oder die Angst der Menschen, in Hunger, Armut, Elend oder Bildungsnotstand abzustürzen, aus. Der Kampf gegen Hunger, Armut, Elend und Bildungsnotstand ist also nicht nur aus humanistischen Gründen, nicht nur wegen der sozialen Gerechtigkeit erforderlich, sondern auch, um begünstigende Bedingungen für den Terrorismus zu überwinden, um die Achtung für Menschenleben zu erhöhen.
(Beifall bei der LINKEN)
Jedes Jahr sterben auf der Erde 70 Millionen Menschen und davon 18 Millionen an Hunger oder den Folgen von Hunger, obwohl wir weltweit Nahrungsmittel besitzen, die die Menschheit zweimal ernähren könnten. Wir können die Fragen der Hungernden nicht beantworten, wir müssen den Hunger endlich überwinden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es entsteht immer mehr Reichtum in immer weniger Händen, während sich andererseits die Armut weltweit verbreitet, auch in Europa, auch in Deutschland. Wir brauchen eine andere Entwicklungspolitik für die Krisenregionen, die Not und Elend überwindet, die Entwicklung ermöglicht; nicht die Interessen der eigenen Konzerne dürfen der Maßstab sein. Das ist übrigens auch die beste Friedenspolitik und die beste Politik zur Bekämpfung von Ursachen von Flucht.
Viertens. Auch die Menschheitsfragen wie die Nachhaltigkeit in der Ökologie, die Verhinderung einer Klimakatastrophe müssen endlich gelöst werden. Wenn gerade bei großen Staaten ökonomische Interessen den Vorrang haben, dann bringt das eine Verachtung zum Recht auf Leben zum Ausdruck.
Wir brauchen also, wenn wir Terrorismus wirksam bekämpfen wollen und auch aus vielen anderen Gründen, gerade in den USA und im gesamten Westen und auch hier in Deutschland eine Wende in der Politik. Lassen Sie uns die Situation ernst nehmen und gemeinsam über Konsequenzen beraten.
(Beifall bei der LINKEN)