Vor mehr als einem Jahr ging in den letzten Schlecker-Filialen das Licht aus. Ein Gespräch mit der ehemaligen Berliner Betriebsrätin Mona Frias über die letzten Tage bei Schlecker, leere Versprechungen der Politik und ihre Arbeitssuche im Billiglohnland Deutschland.
Frau Frias, wie ist es Ihnen und den Kolleginnen nach der Pleite von Schlecker ergangen?
Mona Frias: Ich kenne eine einzige Kollegin, die einen guten Job als Erzieherin bekommen hat – falls Sie sich noch an die Vorschläge von Ursula von der Leyen erinnern. Aber Spaß bei Seite: All die anderen haben vor allem Teilzeitjobs mit Niedriglöhnen bekommen – wenn überhaupt. Also nichts, wovon sie wirklich leben können.
Und Sie selbst?
Seit einem Jahr bewerbe ich mich wie eine Verrückte, habe mehrere Hundert Bewerbungen geschrieben – ohne Erfolg. Das beste Angebot für mich: als private Arbeitsvermittlerin arbeiten, 40 Stunden pro Woche, und das für 7,50 Euro Brutto.
Aber nach der Schlecker-Pleite versprachen zahlreiche Politiker – allen voran Bundeskanzlerin Merkel -, man werde den Schleckerfrauen über die Arbeitsagenturen alle erdenkliche Hilfe zukommen lassen?
Davon haben ich und all jene Kolleginnen, mit denen ich noch Kontakt habe, nichts gespürt. Die Billigjobs können damit ja nicht gemeint sein. Und was die Arbeitsagentur betrifft: Vieles von dem, was ich dort erlebte, glaubt mir eh keiner. Eigentlich könnte ich jetzt Comedy machen.
Was meinen Sie damit?
Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Ich wurde immer sehr freundlich behandelt – aber mit welcher Qualität? Meine Arbeitsvermittlerin sagte mir bei einem Treffen: "Wir kriegen Sie sofort vermittelt. Ich schreibe mal in ihr Profil: 17 Jahre Erfahrung als Betriebsratsvorsitzende." Ich fragte sie, ob sie wüsste, was ein Betriebsrat sei und ob sie glaube, das sei eine Berufsausbildung.
Ist das Ihr Ernst?
Leider ja. Also, wenn die Qualität der Beratung in den Arbeitsagenturen überall so ist wie in meinem Fall, dann ist das heftig für die Betroffenen.
Wie haben Sie persönlich die letzten Wochen bei Schlecker erlebt?
Vor allem der Ausverkauf zum Schluss war die Hölle. Ich selbst habe in einigen Filialen Türsteherin gespielt, denn die Leute verhielten sich ja teilweise wie Vandalen. Da standen dann die von der Pleite des Konzerns völlig verunsicherten Kolleginnen in Läden, die wie Schlachtfelder aussahen, und mussten sich noch von Leuten beleidigen lassen. So nach dem Motto: Ihr seid doch selber schuld an der Pleite.
Hört sich ziemlich unangenehm an…
Dabei hatten wir als Mitarbeiter doch jahrelang darum gekämpft, die Läden zu modernisieren und mit neuen Konzepten zeitgemäß zu arbeiten – doch genau das war ja durch den Schlecker-Konzern nicht gewollt. Deswegen war die Pleite wohl unausweichlich.
Die Familie Schlecker scheint offensichtlich doch nicht so pleite zu sein, wie lange Zeit immer wieder beteuert. Vor einigen Monaten erst zahlte sie in einem Vergleich mehr als zehn Millionen Euro, um ein Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Damit hat sich doch das bestätigt, was ich mir immer dachte: Pleite sind dieser Mann und seine Familie nicht. Sie leben schön in Saus und Braus in ihren Villen und mehr als die Hälfte der ehemaligen Mitarbeiter ist immer noch arbeitslos oder muss für Niedriglöhne schuften gehen.
Was haben Sie einst bei Schlecker verdient?
13,69 Euro die Stunde – die werde ich wohl nie wieder bekommen. Diese Sache macht mich wirklich wütend. Es gehen so viele Firmen mit Tariflöhnen pleite und die anderen Konzerne nutzen das aus. Bei ihnen geht der Umsatz hoch und sie stellen die Menschen zu Niedriglöhnen ein. Da heißt es dann: Entweder du arbeitest für fünf oder sechs Euro oder ich stelle jemanden anderes ein. Die Politik ist hier mehr als dringend gefragt.
In welcher Hinsicht?
Schluss mit Realitätsverweigerung. Ich kann nicht begreifen, dass es der Mehrheit der Politiker offensichtlich egal ist, wie es auf dem Arbeitsmarkt aussieht und zu welchen Löhnen dort gearbeitet wird. Ich kann nicht verstehen, warum sich Politiker da so quer stellen und sagen: Nee, Mindestlohn nicht mit uns. Kriegen die eigentlich noch mit, wie es auf dem Arbeitsmarkt zugeht? Glauben diese Politiker eigentlich selber, was sie so den lieben langen Tag erzählen?
Was wünschen Sie sich von diesen Politikern?
Jene, die gegen Mindestlöhne sind und so viel Gutes über den deutschen Arbeitsmarkt erzählen, die sollten diesen Arbeitsmarkt auch mal real erleben, also arbeiten gehen. Ich meine das nicht fies, sondern im besten Sinne: Diese Politiker müssten einfach mal die reale Welt erleben, mal richtig an die Basis ran.
Zu befürchten ist ja, dass dieser Aufforderung nicht viele folgen werden…
Leider. Aber ich sage es ganz klar: Wenn man sich anschaut, wie Miet- und Lebensmittelpreise explodieren, dann muss doch endlich ein Mindestlohn von zehn Euro her. Zudem müssen die Gesetze so geändert werden, dass es sich für Unternehmen lohnt, nach Tarif zu bezahlen und Vollzeitkräfte einzustellen. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet jene Unternehmen die Verlierer sind, die den Mitarbeitern eine ordentliche Arbeit und Bezahlung anbieten.
Die Tarifbindung im Einzelhandel lässt ja immer mehr nach…
Die meisten Arbeitgeber wollen eben nur eines: Hauptsache Umsatz und Arbeitskräfte so billig wie möglich. Wie es in den Läden läuft, wie es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht – das ist den meisten egal. Dabei müssten die Arbeitgeber doch endlich mal kapieren, dass sie von gut bezahlten und fair behandelten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur profitieren können. Zufriedene Leute hängen sich rein und kämpfen für ihr Unternehmen.
Die Arbeitgeber scheinen das anders zu sehen: Derzeit haben sie im Einzelhandel den Generalangriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen gestartet und bundesweit fast alle bestehenden Tarifverträge gekündigt…
Erwartet habe ich das eigentlich schon zeitiger – und ich befürchte, bei den Verhandlungen kommt nichts Gutes heraus. Auch hier muss die Politik ran, sie muss verhindern, dass es immer mehr bergab geht für die Beschäftigten im Einzelhandel – immerhin ja mehr als 3 Millionen Männer und Frauen. Was soll denn der ganze Wahnsinn? Einerseits heißt es bei den Unternehmen immer "Umsatz machen", andererseits haben die Leute immer weniger in der Tasche, um einzukaufen.
Haben Sie es jemals bereut, Betriebsrätin zu sein?
Nein, ich würde alles wieder so machen. Erstens haben wir bei Schlecker damals viele gute Sachen erkämpft, und zweitens war es auch für mich persönlich ein Gewinn. Ich habe so vieles in der Zeit gelernt und glauben Sie mir, so schnell kann mich kein Arbeitgeber mehr veräppeln.
linksfraktion.de, 19. August 2013